Neue Leben: Roman (German Edition)
erschien mir dann sogar plausibel.
Der Baron 80 kippte zurück an den Tisch und schüttelte den Kopf.
Er habe sich damit abgefunden, ein Prediger in der Wüste zu sein, und nehme die anderen Geschenke, die ihm das Schicksal anstelle des Ruhmes gewähre, dankbar an. »Es ist so einfach, gute Geschäfte zu machen! Heute jedoch«, seine Rechte beschrieb einen Halbkreis, als müsse er uns zur Ruhe mahnen, »heute haben wir anderes zu besprechen.«
Der Baron rief nach der Kellnerin. Die kniete neben Astrid, dem Wolf, und streichelte dessen Fell, das im Kontrast zu dem allgemeinen Honiggold geradezu räudig wirkte. Die Kellnerin eilte herbei und begann, 81 den Tisch abzuräumen. Der Baron hatte sich die Serviette aus dem Hemdkragen gerissen, war aufgestanden und sah sich suchend im Zimmer um. Ihm wurde ein Korb gereicht. Den Inhalt verhüllte ein weißes Tuch.
»Meine Herren«, sagte er. »Ich habe mir erlaubt, Ihnen ein kleines Präsent mitzubringen. Es ist nicht leicht gewesen« – alsmeinte er das Gewicht des Korbes, hob er ihn kurz an –, »doch hoffe ich, daß meine Erkundigungen mich nicht in die Irre geführt haben.« Er trat ein Stück zurück – ich glaubte schon, im Korb habe sich etwas bewegt – und riß das Tuch weg. Es staubte. Zum Vorschein kamen dunkle Flaschen mit fleckigen, eingerissenen Etiketten.
Wir könnten sehen, dozierte der Baron, die authentischen Zeichen des Alters seien bewahrt worden. Mit seinem Geschenk verbinde er die bescheidene Bitte, von uns zu jeweils einem halben Glas eingeladen zu werden.
Ach, Jo! Seine Nase berührte fast das Etikett; wie ein Neugeborenes, das aus dem Bad gehoben, getrocknet und umhüllt wird, nahm er die erste Flasche aus dem Korb.
»Beginnen wir mit dem Jüngsten, mit Ihnen, Herr Türmer – ein 61er Château Ducru-Beaucaillon.«
Ich hatte mich erhoben, er bedeutete mir, sitzen zu bleiben, und tat so, als könnte er mich über den Brillenrand hinweg sehen. Nie habe er ohne Befangenheit, ja Bangigkeit eine alte Flasche geöffnet, offenbare sich doch dabei in einem einzigen Augenblick das Werk von Jahrzehnten. Der Baron kratzte mit seinen viel zu kurzen Fingernägeln – ich glaube, er knaupelt – am Lack, mit dem der Korken versiegelt war. Gegen das Wirken von Zeit und Chemie, schloß der Baron, sei selbst er machtlos.
Natürlich weiß jedes Kind, daß Wein zu Essig werden kann. Aber die Tragweite dieser Warnung begriff niemand von uns.
Der Baron ließ ein keckerndes Lachen hören. Beinah lautlos zog er den Korken aus meiner Flasche und beschnüffelte ihn eingehend. »Darf gratulieren!« sagte er und schenkte mir ein, nicht viel, kaum fingerbreit. Gleichzeitig griffen er und ich nach dem Glas, ich zuckte zurück. Der Baron bewegte es endlos in der Art, wie Jan Steen seinen Weinbrand geschwenkt hatte, und hielt es sich unter die Nase. »Wohl bekomm’s«, sagte er und kredenztees mir. Ich kam mir vor wie ein Scharlatan, als ich, mich zur Bedächtigkeit zwingend, den Kelch schwenkte, daran roch und ihn, nach dem Vorbild des Barons, an die Lippen führte. Ich spülte meine Mundhöhle ordentlich und schluckte, als sich die Schleimhäute irgendwie stumpf anzufühlen begannen. Das war’s, dachte ich. Der Baron sah mich unverwandt an, niemand sprach.
Allmählich stieg etwas Erdiges in mir auf – fremd und angenehm, der Vorbote einer Erinnerung an ein anderes Dasein.
Langweile ich Dich? In Dir rufen diese Worte keine Erinnerung wach. Es ist schon sechs, heute bin ich dran mit Korrekturlesen in Leipzig! Ich kürze ein bißchen ab.
Was folgte, war bedrückend, obwohl wir uns das nicht eingestehen wollten.
Der Baron ließ Weißbrot herumgehen, bevor er Jörgs Flasche nahm und verkündete: »Jahrgang 53!« Ich war nicht ganz bei der Sache, als der Baron den 53er Beaujolais beschrieb. Als ich aufsah, kämpfte er, hochrot, mit dem Korken. Plötzlich erschlafften seine Wangen, die schon ein Lächeln erfaßt hatte. Er urteilte allein nach dem Geruch des Korkens. Wir konnten ihn nicht mal dazu bewegen, uns auf eigene Gefahr kosten zu lassen. Barrista, noch immer mit rotem Kopf, stellte sich taub. Ich war überrascht, wie schnell er die Fassung verlor.
Georg murmelte, bei solchen Dingen sei eigentlich immer er der Pechvogel, Jörg versuchte zu lachen. Er habe seinen Jahrgang nie gemocht, deshalb überrasche es ihn nicht weiter. Ich fürchte, Jörg hat es mehr getroffen, als er sich selbst eingestand. Und das lag, ohne ihm einen Vorwurf machen zu wollen, an
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