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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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den Wacholderstrauch, legte das Kinn auf die Brust und betete lautlos. Robert erlebte das wohl zum ersten Mal. Wir sahen einander an, wagten aber nicht zu lächeln. Larschen hob den Kopf und sagte im selben Augenblick: »Der Wacholder kann bis zu fünfhundert Jahre alt werden, die Sommerlinde bis zu tausend.« Und auch wir bewegten uns wieder, als wäre der Film nur kurz angehalten worden. Als Larschen gegangen war, roch die Wohnung ein bißchen nach ihm. Die Äpfel aber dufteten.
    Jörg glaubte, mich beruhigen zu müssen, weil wir nur noch siebzehntausend Exemplare oder weniger verkaufen. Die Wahlen werden uns helfen, und Jörg verfolgt ein paar Fälle aus seiner »Kommission gegen Korruption und Amtsmißbrauch«. Er ist dort der einzige Unbelastete und hat somit leichtes Spiel.
    Heute stand Wolfgang, der Hüne, samt seiner ebenso hünenhaften Frau vor der Tür. Er wußte nichts von meinem Unfall, sie waren gekommen, um uns einzuladen. In Offenburg, bei unserem gemeinsamen Topfkauf, hatte er uns ein Essen versprochen. (Bisher haben wir uns nicht gewagt, die Töpfe zu benutzen.) Er arbeitet jetzt für Jan Steen, fährt einen eigenen Dienstwagen und verdient offensichtlich so viel D-Mark, daß es ihm peinlich ist, darüber zu sprechen. Jan Steen, sagte Wolfgang, lese jede Zeile unserer Zeitung. Den interessiere alles. Gefragt, wiesie ihm selbst gefalle, lachte er unsicher. Ein bißchen mehr Pfeffer täte der Zeitung sicher gut. Ich habe etwas ungehalten reagiert, schließlich gibt es ja nicht jede Woche einen Skandal wie den um die Ratsbibliothek 101 (und selbst da soll ja alles rechtens gewesen sein) oder irgendeinen Fall aus den Schulen 102 . Meine Frage nach seinem alten Betrieb empfand er wie eine Retourkutsche, obwohl ich das eher aus Verlegenheit angesprochen hatte. Aus den Andeutungen seiner Frau schloß ich, daß ihn diese Entscheidung quält. Aber auf Jan Steen läßt er 103
    »nichts kommen«, wollte ich schreiben. Es ist gleich zwölf. Barrista stand plötzlich vor der Tür. Er ist unglaublich. Sein Blumenstrauß war so groß, daß ich erst gar nicht erkennen konnte, wer da vor mir stand. Niemanden hatte ich weniger erwartet. Er wiederum schien überrascht, mich »so gut aufgelegt« zu finden.
    Robert wurde mit derselben Verbeugung begrüßt wie ich. Er siezte ihn und sprach ihm seine »Anerkennung« aus, weil er wisse, was es bedeute, sich allein auf dem Markt zu behaupten, und nannte es ein großes Glück, in dieser Zeit so jung zu sein wie er, noch alles lernen, noch alles beginnen zu können. Mit dem kleinen Sermon hatte Barrista Roberts Flucht vereitelt. Ohne Aufforderung kümmerte sich Robert dann um Astrid, den Wolf, während ich den Tisch fürs Abendbrot mit Servietten bestückte, eine Flasche Cabernet dazustellte und dem Wurstteller eine Gabel beigab, was Robert als Zugeständnisse an den Gast akzeptierte(Michaela hatte Vorstellung, immer wieder die Statistenrolle in »Rusalka«) 104 .
    Barrista bestrich sein Brot so gewissenhaft mit Butter, wie ich es sonst nur von Dir kenne, plazierte die Wurstscheiben mit derselben Akkuratesse und brachte so die Rundungen von Bierschinken und Brot beinah zur Deckung.
    Als ich ihm Wein nachschenken wollte, wehrte er ab und sah mich durch sein Panzerglas an: Ob ich fähig und willens sei, ihn in einer halben Stunde zum Bahnhof zu fahren? Der Tatbestand sei folgender – und dann legte er mir lang und breit dar, warum es für ihn besser sei, mit dem Zug, das heißt im Schlafwagen, nach Stuttgart zu fahren (oder Frankfurt am Main?), um mir schließlich seinen LeBaron zur Aufbewahrung anzutragen. Natürlich solle ich damit fahren, das wäre ihm lieb, ja die Vorstellung eine Freude. Er wiederholte, wobei er beschwörend die Hand auf sein Herz legte, wie gern er mich in seinem Wagen wisse und mir nach meinem Unglück wenigstens auf diese Art und Weise behilflich sein möchte. Natürlich geschehe das, wie immer bei ihm, aus egoistischen Motiven. So einen Wagen könne er hier nicht über Tage hinweg ohne Aufsicht und auf demselben Flecke stehen lassen. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, lieber Herr Türmer«, schlechte Erfahrungen habe er hier in diesen Dingen nicht gemacht, aber man müsse ja nichts provozieren. Wenn er mich absolut nicht überzeugen könne, so solle ich zumindest seine Maxime berücksichtigen, dem Staat nicht unnötig etwas zu schenken, denn Steuer und Versicherung seien ja bezahlt, der Wagen warte vollgetankt vor dem Haus.
    Es blieb gerade genug

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