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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
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mit dem grünweißen Würfelmuster erinnern, die mir beim Schreiben an den nackten Knien klebte? Wie oft nahm ich mir vor, sie zu verschieben, was nur ein Handgriff gewesen wäre; ich habe es nie getan, als fürchtete ich, damit die Quelle meiner Inspiration zu verlieren.
    Sah ich vom Liegestuhl aus durch die Kiefernkronen – die Sonnenbrille, die ich im Küchenbuffet gefunden hatte, färbte alles türkis –, glaubte ich vom Meeresgrund aus hinauf zum Wasserspiegel zu blicken. Glitt die Sonne hinter einen Stamm, dunkelte das Hellrot zu Purpur. Am schönsten war das Abendlicht, das beinah waagerecht über den See kam und die Stämme rostrot glühen ließ. Schließlich, wenn das Licht aus den Baumkronen verschwand, tauchte es die Bäuche der Wolken in ein Violett,von dem sich abzuwenden Frevel gewesen wäre. Morgens, wenn ich Brötchen holte, hingen zwischen den Gräsern Spinnennetze im gleichen Weißgrau wie der Morgenmond, zurückgebliebene Schemen, Nachtschatten.
    Jedes Geräusch diente nur dazu, mich der Stille zu versichern (einer Stille, von der später, viel später noch zu reden sein wird).
    Meine Mutter, glücklich, daß ihr Sohn endlich zu Verstand gekommen war, dankte es mir, indem sie mich umhegte und bewachte, während ich mit den 26 Zeichen spielte.
    Zu den Mahlzeiten setzte ich mich als Schriftsteller, erschöpft von der Arbeit. Und auch davon wollte ich schreiben, wie es ist, wenn man nach der Arbeit ruht. Jeder Gedanke, jede Regung, jede Beobachtung war kostbar und vergänglich. Ich war wie ein Sammler, ein Entdecker, unterwegs, um all das Merk- und Denkwürdige aufzulesen, zu beschreiben und der Menschheit mitzuteilen. Wie hatte ich bisher nur gelebt? Wie hatte ich dieses Leben ertragen? Wie ertrug meine Mutter ihr Dasein?
    In den letzten Tagen besuchte uns Vera. Sie stellte keine Fragen. Sie sah nur auf das Buch in meinen Händen und verkündete: »Oh, Enrico liest ein Buch mit dem interessanten Titel ›Vater Goriot‹« oder: »Ah, mein Bruder Enrico macht sich mit dem Werk des großen humanistischen Schriftstellers Charles Dickens vertraut!« Mehr hatte ich von ihr nicht zu befürchten. Zudem profitierte ich davon, daß derjenige, der las oder schlief, bei meiner Mutter als unantastbar galt, eine Regel, die mich bisher benachteiligt hatte.
    Die Ankunft in Dresden erlebte ich, der fast die Hälfte der Kladde mit den Abenteuern seiner Seele gefüllt hatte, als Triumph. Vor drei Wochen war ich von hier als dummer Junge aufgebrochen, der nichts von sich und der Welt und seiner Bestimmung in ihr geahnt hatte. Als junger Schriftsteller, der bald sehr berühmt sein würde, kehrte ich zurück.
    Sie, Nicoletta, werden das für Kinderei halten. Für mich aber war es der Beginn meines Irrweges. Ich werde ja wohl zu hören bekommen, was Sie davon halten.
    In Gedanken ganz bei Ihnen, Ihr Enrico T.

 
     
    Dienstag, 13. 3. 90
     
    Lieber Jo!
    Ich hatte einen Unfall, schuld war ein Wahnsinniger, der uns quasi von der Straße geschoben hat. Ich habe eine leichte Gehirnerschütterung, und ein paar Halsmuskeln sind gezerrt, aber das ist auch schon alles. Wir 99 hatten Glück, denn plötzlich standen wir – mit kaputter Frontscheibe – genau zwischen zwei Bäumen.
    Ohne Auto fühle ich mich wie amputiert, dadurch gerät alles durcheinander, es bedrückt mich regelrecht. Früher genügte es mir oft schon, Jimmy 100 zu sehen, und gleich ging es mir besser. Wahrscheinlich wird seine Reparatur so teuer, daß sie nicht lohnt. Es ist das Auto von Michaelas verstorbenem Vater, der es gehegt und gepflegt hat, und für ihre Mutter das Andenken an eine bessere Zeit schlechthin. Außerdem wird sie nun merken, daß wir keine Kaskoversicherung abgeschlossen haben.
    Ab morgen bin ich wieder in der Redaktion und werde versuchen, Euch anzurufen. Ich bin froh, wieder unter Leute zu kommen. Wenn ich hier herumliege, lebe ich nicht.
    Besuch hatte ich genug. Der alte Larschen kam den ganzen Weg hierher gelaufen und hatte Äpfel in seinem Rucksack, eigene Ernte, die er uns, jeweils einzeln in raschelndes Papier verpackt, wie eine Kostbarkeit auf den Tisch legte. Der Apfel, belehrte er Michaela und mich, gehöre zu den Rosengewächsen, worauf Michaela sagte, so schöne Rosen habe sie lange nicht mehr geschenkt bekommen. Die beiden schlossen gleich Freundschaft. Sie darf sogar das Manuskript seiner Memoiren lesen. Wir luden ihn ein, mit uns Abendbrot zu essen. Als wir uns an den Tisch setzten, unterbrach Larschen seinen Exkurs über

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