Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingo Schulze
Vom Netzwerk:
Zeit, um ihm einen Kaffee zu kochen. Während Barrista sich kurz entschuldigte, schmierten wir Schnitten,belegten sie dick mit der restlichen Wurst, und Robert kam auf die Idee, ihm den Kaffee in einer Thermoskanne mitzugeben. Der Baron war gerührt.
    Zum Bahnhof fuhr bereits ich. Ich fürchtete, wir könnten als Gegenleistung zur Pflege des Wolfs verpflichtet werden, der neben Robert auf der Rückbank saß. Der Baron und Robert sprachen über Musik, über das, was Robert Musik nennt. Der Baron kannte die meisten Bands und wußte Klatschgeschichten von Milli Vanilli und wie sie alle heißen. Die Quelle dieses Wissens fand sich im Kofferraum: ein Stapel »Bravo«-Hefte, die er Robert vermachte. Er habe sie bereits gelesen, seine Pflichtlektüre, um sich ein Bild zu machen, was Jugendliche beschäftige. Bei der Gelegenheit erfuhren wir von seinen zwei Kindern, die er aber viel zu selten sehen dürfe. Zu mehr Fragen blieb keine Zeit. Auf sein Drängen hin probierte ich noch das Auf- und Zuklappen des Daches, da nun doch Frühling werden sollte, und erhielt die Papiere. Eine Büchse Hundefutter, als Napf ein großer Plasteaschenbecher mit Stuyvesant-Reklame und die Collegemappe waren sein ganzes Gepäck.
    Er hob den Wolf in den Zug, verabschiedete sich knapp und zog die Tür hinter sich zu. Robert und ich folgten ihm auf dem Bahnsteig von Fenster zu Fenster, sahen zu, wie er sich setzte, die Mappe öffnete und einen Stapel Papiere herausnahm. Beim Lesen lehnte er den Kopf gegen die Scheibe, als schliefe er. Irgendwie glaubte ich in diesem Moment zu verstehen, warum er den Wolf immer bei sich hat.
    Kennst Du die Serie mit David Hasselhoff und seinem sprechenden Auto? 105 Dieser LeBaron sieht so ähnlich aus. Man steuert ihn mehr im Liegen als im Sitzen. Solchermaßen die Leuten passierend,die aus dem Theater strömten, kam ich mir vor, wie ein leise durchs Wasser gleitendes Reptil. Nahezu erschrocken wandte man sich nach uns um.
    Michaela stieg kommentarlos ein, so niedergeschlagen war sie. Sie verlor auch kein Wort wegen Robert, der eigentlich um acht im Bett sein muß. »Bloß weg hier«, sagte sie, was ich als Aufforderung zu einem kleinen Ausflug nahm.
    Gleichwohl genoß sie die Fahrt und lächelte, als wir auf der langen Geraden hinter Rositz hundertsechzig fuhren. Zu Hause angekommen, glaubte ich, Michaela und Robert wären eingeschlafen, aber sie hatten nur keine Lust auszusteigen.
    Im Wohnzimmer fielen wir über Barristas Konfektschachtel her: Schokoladenkugeln, die auf der Zunge zerschmelzen – Michaela nahm sich von jeder Sorte eine und legte sie, da sie auf Barristas Platz saß, auf seinen Teller, den sie für unbenutzt hielt. Ich schaffte drei, Robert zwei, Michaela aß sie wie Kirschen und zog mit dem Rest vor den Fernseher, wo sie noch sitzt und den Wahlorakeln lauscht.
    Lieber Jo, mir fällt es schwer, etwas zu Deinen neuen Arbeiten zu sagen. 106 Ich bin zu weit weg davon. Erfundenes interessiert mich nicht mehr. Das ist natürlich kein Argument, schon gar kein Qualitätskriterium. Die neue Literatur, sollte es überhaupt so etwas geben, wird eine Literatur der Arbeit sein, des Geschäftemachens, des Geldes. Schau Dich um! Die im Westen tun nichts anderes als arbeiten. Uns ergeht es nicht anders.
    Grüße Deine Frauen, sei umarmt, E.

 
     
    [Donnerstag, 15. 3. 90]
     
    Nicoletta, was ist passiert? 107 Ich bin wie betäubt. Ich erfuhr es beiläufig von Jörg. Sonst weiß ich nichts! Was kümmert Sie Barrista? Wenn ich mir vorstelle, daß ich zur selben Zeit zu Hause lag und die Minuten bis zur Ihrer Abfahrt zählte – jetzt weiß ich, ich habe so etwas geahnt, irgend etwas Unheilvolles. Aber Barrista? Was hat der mit uns zu tun? Was uns betrifft, gibt es ihn nicht. Was werfen Sie ihm vor, was mir? Was hat er denn für eine Bedeutung? Ist er nicht jemand, der eher Mitleid verdient oder Nachsicht? Einer, der viel zu kompensieren hat? Doch das ist völlig egal! Warum lassen Sie mich für ihn büßen? Oder wie sonst ist Ihr Schweigen zu deuten? Sieht man B. zum ersten Mal, wirkt er befremdlich. Woher seine seltsamen Manieren und Ansichten stammen, weiß ich nicht. Sollten sie denn zu etwas anderem gut sein, als von seinem Äußeren abzulenken? Hier macht sich jeder über seine spitzen Stiefel mit den schiefen Absätzen lustig. Letztlich kann ich über B. nicht mehr sagen, als daß er sich mit dieser ungewöhnlichen Anfrage an die Zeitung gewandt hat. Seine Begründung dafür ist schmeichelhaft. Aus welchem

Weitere Kostenlose Bücher