Neue Schuhe zum Dessert
musste so rausgehen – in dem Kostüm von gestern, zerknittert und voller Flusen.
»Komm ganz schnell zurück«, rief Mam mir nach.
»Ganz schnell.«
Ich fuhr in halsbrecherischem Tempo ins Einkaufsviertel und war schon fast aus dem Auto raus, bevor ich es richtig geparkt hatte. Mein Herz raste. Vorübergehend war das Drama mit Dad auf den zweiten Platz verbannt. Der Grund für meinen trockenen Mund war Lilys Buch. Ich rannte über den Platz, hoffte, dass ich niemandem aus der Firma begegnen würde, und stürzte – in höchster Alarmbereitschaft, Adrenalin in rauen Mengen in den Adern – in die Buchhandlung, wie ein Elitesoldat, der eine feindliche Botschaft stürmt. Ich blickte wie von Furien gehetzt um mich in der Erwartung, von allen Seiten von Riesenstapeln ihres Buches überfallen zu werden, wirbelte dann herum, um zu sehen, was hinter mir war. Nichts. Den Blick auf höchster Sensibilisierungsstufe, erspähte ich die Neuerscheinungen an der Wand, und in weniger als einer Sekunde hatte ich die Titel überflogen – der Sechs-Millionen-Dollar-Mann hätte es auch nicht schneller gekonnt –, aber Lilys Buch entdeckte ich nicht.
Wenn sie ihr Buch hier nicht hatten? Schließlich war das hier nur eine kleine Buchhandlung in einem Vorort. Mir war klar, dass ich in die Stadt fahren und eine größere Buchhandlung aufsuchen musste. Ich durfte jetzt nicht aufgeben, ich musste erst ein Exemplar von Lilys Buch in die Hand bekommen.
Ich ging die alphabetisch geordneten Autoren durch. Die »Ws« waren ganz unten, knapp über dem Fußboden. Waters, Werther, Wogan … o nein, da war es. Da stand ihr Name. Lily Wright. In geschwungener, schnörkeliger Schrift. Lily Wright. Und der Titel war der gleiche. Mimis Medizin .
Mein Herz klopfte mir bis zum Halse, und meine Hände klebten so sehr, dass sie eine feuchte Spur auf dem Umschlag hinterließen. Ich versuchte, die Seiten umzublättern, aber meine Finger zitterten zu sehr. Ich suchte die biografischen Angaben über die Autorin. Dann fand ich sie.
Lily Wright lebt mit ihrem
Partner Anton und ihrer
kleinen Tochter Ema in London.
Heilige Maria. Das gedruckt zu sehen, machte es wahrer als vorher. Hier stand es schwarz auf weiß . Alle – ihr Verleger, ihre Leser, die Mitarbeiter in der Buchhandlung und die Leute in den Druckereien – sie alle dachten, dass das die Wahrheit war. Anton war Lilys Partner, und die beiden hatten eine kleine Tochter. Ich hatte das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, nicht dazuzugehören, weil ich der einzige Mensch auf der Welt war, der glaubte, dass Anton noch immer mir gehörte. Alle anderen überall auf der Welt nahmen an, dass Lily einen rechtmäßigen Anspruch auf ihn hatte. Diese bittere Ungerechtigkeit! Sie hatte ihn mir weggenommen, doch statt sie wie eine gewöhnliche Verbrecherin zu behandeln, die sie ja war, klopften ihr alle auf die Schulter und gratulierten ihr: »Gut gemacht, was für einen wunderbaren Mann du da gefunden hast, das ist doch schön.«
Dass ihr die Haare ausgingen, wurde natürlich nicht erwähnt. Keine Rede davon, dass sie um einiges besser aussehen würde, wenn sie sich eine Burt-Reynolds-Haartransplantation machen lassen würde – und das sage ich nicht aus Gemeinheit, sie hat es oft selbst gesagt. Aber nein, alles musste in einem positiven Licht gesehen werden, alles war wunderbar, auch die Haare.
Auf dem Schutzumschlag hinten war ein kleines Schwarzweißfoto. Ich betrachtete es verbittert. Man sehe sie sich nur an, so zierlich, mit großen Augen und langen, blonden Locken, wie ein schmalgliedriger, schlanker Engel. Und es heißt, dass die Kamera niemals lügt …
Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich sollte für das Buch nicht bezahlen müssen – nicht nur hatte die Autorin mir den Mann weggenommen, den ich am meisten liebte, sie hatte auch noch ein Buch über mich geschrieben. Ich hatte den fast ununterdrückbaren Drang, an der Kasse zu sagen: »Es geht in dem Buch um mich, wissen Sie«, aber ich konnte es mir gerade noch verkneifen.
Es gelang mir, zu bezahlen, und dann stand ich vor dem Laden in der Kälte und überflog die Seiten nach meinem Namen. Auf den ersten Blick fand ich ihn nicht. Ich suchte und suchte, dann begriff ich, dass sie meinen Namen geändert haben musste, falls ich sie vor Gericht bringen würde. Wahrscheinlich war ich »Mimi«. Als ich auf Seite sieben war, erwachte ich aus meiner Trance und machte mir klar, dass ich ebenso gut zu Hause bei Mam im Warmen sitzen und das
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