Neue Schuhe zum Dessert
Essen kocht und das Haus tipptopp in Ordnung hält; sie hat Dad nie angemeckert, wenn er schlecht gelaunt war, weil sich die Schokoriegel nicht so gut verkauften, wie er sich das wünschte. Bis in die Wechseljahre war sie schlank, und selbst die Wechseljahre hat sie meisterhaft überstanden: Sie wurde nie beim Verlassen des Supermarkts mit einer Dose nicht bezahlter Sardinen erwischt. (Warum sind es immer Sardinen?) Ich kann dir sagen, das Ganze hat mich sehr bitter Männern gegenüber gemacht. Wozu das alles? Du gibst ihnen dein Leben, kochst für sie bis zum Umfallen, magerst ab, bis du Osteoporose hast, und wozu? Damit sie dich verlassen, wenn du an der Schwelle zum Alter stehst, und sich mit einer Frau, die Unterhemden toll findet und gesträhnte Haare hat, zusammentun.
»Er hat dich nicht verdient«, sagte ich.
Aber sie sah mich böse an und entgegnete: »Sprich nicht so von deinem Vater.«
Was sollte ich darauf sagen? Stürz dich einfach ins Getümmel? Du lernst schon wieder jemanden kennen? Ich meine, Mam ist zweiundsechzig, sie ist weich und gemütlich und sieht aus wie eine Großmutter.
Wenn du kannst, ruf mich bei Mam an. Sie will auf keinen Fall allein gelassen werden, ich bleibe also eine Weile hier, bis er Vernunft annimmt und wieder nach Hause kommt.
Liebe Grüße
Gemma
PS Nein, es macht nichts, dass du kein Valium dahattest, eine Rum-Cola war genau das Richtige als Ersatz. Hast du gut gemacht.
Mam ließ mich gehen, damit ich mir ein paar saubere Sachen zum Anziehen aus meiner Wohnung holen konnte, die fünfzehn Minuten entfernt ist. »Wenn du in vierzig Minuten nicht wieder da bist, fange ich an, mich zu fürchten«, versprach sie mir.
In Zeiten wie diesen hasse ich es, Einzelkind zu sein. Mam hatte zwei Fehlgeburten – eine vor mir und eine danach –, und alle Schaukelpferde und Dreiräder der Welt können fehlende Geschwister nicht ersetzen.
Auf der Fahrt kreisten meine Gedanken um Colette und ihre Strähnchen. Der größte Schock war, dass sie fast genauso alt ist wie ich; hieß das, dass Dad meine Freundinnen unter diesem Gesichtspunkt angeguckt hatte? Er war nicht dafür bekannt, dass er fremdging oder mit anderen Frauen flirtete – bis zum gestrigen Tage wäre der Gedanke allein Grund für einen Heiterkeitsausbruch gewesen –, doch plötzlich sah ich die Dinge mit anderen Augen. In meiner Erinnerung war er immer freundlich zu meinen Freundinnen gewesen und hatte sie mit Schokolade verwöhnt, wenn sie zu Besuch kamen, aber das war ja nicht anders, als würde er sie auffordern, die Luft in unserem Haus zu atmen. Und als ich ein Teenager und dann Anfang zwanzig war, war Dad es, der um zwei Uhr morgens mit einem Mantel über dem Schlafanzug in die Stadt fuhr, um mich und neun oder zehn andere von einem Club abzuholen. Normalerweise waren wir ziemlich betrunken, und der Höhepunkt war erreicht, als Susan einmal das Seitenfenster runterkurbelte und eine halbe Flasche Pfirsichschnaps über die Seite des Wagens kotzte. Dad bemerkte es erst am nächsten Morgen, als er mit klimpernden Autoschlüsseln einsteigen wollte und sah, dass die eine Seitentür mit einer klebrigen Masse verschmiert war. Aber statt auszuflippen wie Mr Byers, als Susan einmal in ein Blumenbeet bei ihm gekotzt hatte (»Sag dem Gör, sie soll herkommen und die Schweinerei wegmachen! Sie sollte keinen Alkohol trinken, so jung wie sie ist, und dann verträgt sie es nicht einmal!« usw. usw.), sagte er einfach nur: »Ach, so ein Mist! Diese Susan«, ging wieder ins Haus und holte einen Eimer Wasser und einen Lappen. Damals dachte ich, Dad wäre einfach gutmütig, aber jetzt überlegte ich, ob dahinter lüsterne Gedanken steckten.
Eine eklige Vorstellung.
Ich musste mehrmals an roten Ampeln anhalten, was mir mehrere Minuten von meiner Zeit wegnahm, aber wenigstens funktionierte der Code an dem elektronischen Tor zu meiner Wohnanlage. Meine Wohnung ist in einer supermodernen Anlage mit vielen Einrichtungen, darunter ein (lächerlich armseliges) Fitnessstudio und eine elektronische Einfahrt, die »Sicherheit« bieten sollte. Allerdings funktioniert der Code sehr oft nicht, sodass die Leute entweder nicht zur Arbeit rausfahren oder abends nicht reinfahren können, je nachdem, wann die Elektronik ausfällt.
Ich blätterte meine Post durch – sechs oder sieben Flugblätter für Power-Yoga, eins für Darmspülungen – und hörte meinen Anrufbeantworter ab: nichts Dringendes; alle sagten am Schluss: »Ich versuche,
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