Neue Schuhe zum Dessert
Volltreffer, sie hatte einen Volltreffer gelandet!
Sie kannte ihn, aber sie konnte ihn nicht einordnen. Er war ihr so vertraut, es war zum Verzweifeln, wer um alles in der Welt … ach so, natürlich, Will aus der Apotheke. In freier Wildbahn.
Sie hatte plötzlich ein angenehm warmes Gefühl im Bauch, aber das konnte genauso gut der Wein sein.
»Wer kümmert sich jetzt um die Apotheke?«, rief sie zu ihm hinüber.
»Wer kümmert sich jetzt um die Mammy?«
Sie lachten voller Einverständnis.
Mit einem Nicken auf ihr Glas sagte er munter: »Ich würde Ihnen gern einen Drink spendieren, Izzy, aber bei den ganzen Medikamenten sollten Sie keinen Alkohol trinken.«
»Die sind nicht für mich, Sie Dummkopf. Die sind für meine
Mammy.«
»Ich weiß.« Er zwinkerte.
»Ich weiß, dass Sie das wissen.« Sie zwinkerte zurück.
Izzy war eindeutig scharf auf ihn. Seltsame Dinge geschahen: Das Buch hatte sich immer weiter von seinem Ausgangspunkt entfernt. Die Menschen hatten sich verändert. Die Mutter, der Vater und »ich«, alle hatten sich gewandelt und waren eigenständige Personen geworden. Das war also die viel zitierte Magie des Schreibens, und es gab Momente, da war das ziemlich ärgerlich. Ich hatte einen richtig netten nicht-virtuellen Unternehmer für Izzy ausgesucht, aber sie bestand auf ihrem Geplänkel mit einem Apotheker, den ich überhaupt nicht auf der Rechnung hatte. So eine Frechheit. Gott, was hatte ich da geschaffen? Etwa ein Frankensteinmonster?
Ich gestehe, dass ich mir Owen gegenüber jedes Mal schäbig vorkam, wenn ich etwas Nettes über ›Will‹ schrieb. Wie würde er reagieren, wenn er erführe, dass der Mann in der Apotheke und nicht er das Vorbild zu dem romantischen Helden geliefert hatte? Aber wäre das wichtig? Wenn das Buch herauskam, wäre das mit Owen und mir längst vorbei. Ohnehin dachte ich jedes Mal, wenn wir uns trafen, dass es das letzte Mal sein könnte.
Unterdessen wurde der wirkliche Johnny aus der Apotheke immer realer, je mehr ich über ihn in meinem Buch schrieb, als wäre er ein Polaroidfoto, das sich langsam entwickelte. Ein attraktiver Mann war unter dem weißen Kittel versteckt. Das hatte ich am Freitagabend bemerkt, als er in normalen Sachen da war. Anziehsachen. Schönen Anziehsachen – statt seines weißen Kittels, der ihm nicht gerade schmeichelte.
Ob er eine Freundin hatte? Dass er nicht verheiratet war, wusste ich, weil er einmal eine Bemerkung in dieser Richtung gemacht hatte, als wir uns über unser mieses Leben beklagten. Allerdings gab es keinen Grund, dass er keine Freundin haben sollte – doch würde er je Zeit für sie haben? Wahrscheinlich nicht, es sei denn, sie war eine von diesen unangenehm treuen Frauen und ›hielt zu ihm‹, bis sein Bruder wieder hergestellt und die schwierige Phase vorbei war.
In der Woche nach Lesleys Party musste ich mit einem Rezept in die Apotheke (eine entzündungshemmende Creme, Mam hatte sich einen Muskel in der Hand gezerrt, weiß der Himmel, wie das passiert ist, beim Drücken der Fernbedienung?), und zum ersten Mal war ich verlegen, als ich ihn sah. Schon als ich vom Auto zur Tür ging, spürte ich seinen Blick durch das Schaufenster auf mir, und natürlich stolperte ich.
»Hallo, Gemma.« Er lächelte, und ich lächelte. Irgendwie war er sehr nett. Er hatte so eine freundliche Art. Obwohl, er sah nicht aus wie an dem Abend im Renards, als er ganz sprudelnd war und lebendig und ein bisschen kühn. Das Aschenputtelsyndrom: Plötzlich verstand ich, dass er erschöpft war. Seit ich ihn kannte, arbeitete er zwölf Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche, und obwohl er freundlich zu seinen Kunden war, erlebte ich ihn doch nicht in Bestform. Wenn er bloß nicht so schwer arbeiten müsste …
Ich reichte ihm mein Rezept und sagte: »Wie geht es Ihrem Bruder?«
»Es dauert noch eine ganze Weile, bis er wieder hergestellt ist. Ehm, ich hoffe, ich habe Ihren Freund neulich Abend im Renards nicht verärgert.«
Ich atmete tief. »Er ist nicht mein Freund.«
»Eh … aha.«
Ich hatte keine Ahnung, wo ich anfangen sollte zu erklären, aus welch bizarren Gründen Owen und ich zusammen waren, deswegen sagte ich im Spaß: »Ja, ich küsse andauernd Männer, die nicht meine Freunde sind.«
»Toll, dann habe ich ja eine Chance.« Klang das wie ein Mann, der eine Freundin hat?
»Ach, Sie wollen nicht mein Freund sein?« Das sollte hochmütig klingen und, naja, lustig, aber erst stieg ihm die Röte ins Gesicht, dann
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