Neue Schuhe zum Dessert
weitergehen.
Das war nicht leicht – Mam weinte ganze Eimer voll und flüchtete sich in eine Reihe von Krankheiten, manche echt und manche vorgetäuscht, doch dann hatte sie sich anscheinend mit meinem Wunsch nach mehr Eigenständigkeit abgefunden, und am Ende des Sommers konnte ich wieder drei bis vier Nächte pro Woche in meiner eigenen Wohnung schlafen. Ich sah meine Mutter viel öfter, als die meisten anderen in meinem Alter ihre Eltern sahen, aber ich genoss die neu gewonnene Freiheit.
Mam betrachtete die verschwommene Frau aus dem Umschlag. »Sollst du das sein?«
»Nein, nur im übertragenen Sinne.«
»Nur, wenn ja, dann finde ich, dass die Haare die falsche Farbe haben. Außerdem sieht sie ein bisschen durch den Wind aus.«
»So als hätte ihr Vater gerade ihre Mutter verlassen?«
»So als hätte sie den Herd angelassen oder als fiele ihr das richtige Wort gerade nicht ein. Einbalsamieren, zum Beispiel. Sie ist tief in Gedanken versunken – was stellte man gleich mit den ägyptischen Königen an, als sie starben und bevor sie in die Pyramiden kamen? Es fängt mit ›E‹ an, es liegt mir auf der Zunge, aber es fällt mir nicht ein, wie heißt es nur?«
Ich guckte hin. Mam hatte Recht. Genauso sah sie aus.
»Du musst es Owen zeigen«, sagte sie hinterlistig.
Sie wusste das mit Owen, sie hatte ihn sogar kennen gelernt. Und seltsamerweise, wenn man bedenkt, welchen Argwohn sie gegenüber allem hegte, was mich ihr wegnahm – meine Arbeit zum Beispiel –, hatte sie gegen ihn nichts einzuwenden. Ich sagte ihr, sie solle ihn nicht zu ernst nehmen, weil er über kurz oder lang aus meinem Leben verschwinden würde. Unsere Begegnungen – ich wollte das zwischen Owen und mir nicht Beziehung nennen – hatten auch weiterhin etwas Holpriges, Wackliges, als könnte es jeden Moment zu einem Knall kommen, und wir würden uns nie wieder sehen. Aber irgendwie ging es weiter, und wir stritten mit Begeisterung den Sommer hindurch und in den Herbst hinein. Inzwischen war es November, und wir waren immer noch ein Thema – ein leicht abgegriffenes, aber immerhin.
»Owen.« Ich zuckte wegwerfend die Schultern.
»Spiel es nicht runter, nur meinetwegen«, sagte sie. »Er ist jünger als du, er wird dir das Herz brechen, aber du wirst ihn heiraten.«
»Heiraten? Bist du wahnsinnig?«
Wir musterten uns argwöhnisch, dann sagte Mam: »Frag so was nicht, denn Fragen wie diese – wie heißt es so schön – kommen der Wahrheit näher, als einem lieb ist.«
Ich lächelte. Manchmal war ich voller Hoffnung, wirklich.
»Ich habe dir schon mehrmals gesagt«, sagte ich wieder, »Owen ist eine vorübergehende Maßnahme, ein Lückenbüßer, eine Notlösung, bis die Profis kommen.«
Aber Mam beharrte darauf, dass er der Richtige war. »Du bist so natürlich, wenn er da ist.«
Schon, aber ich war nicht auf richtige Weise natürlich, nicht die nette Gemma.
Dennoch: Er war
gut im Bett,
ein äh … guter Tänzer,
öhhhh.
»Ich bin nicht so alt geworden, ohne ein paar Dinge über die Liebe gelernt zu haben«, fuhr Mam fort. Ich erwiderte nichts, es wäre zu grausam gewesen.
»Ihr jungen Mädchen redet davon, den Richtigen zu finden, aber der Richtige kommt in allen möglichen Varianten. Oft merkt man gar nicht, dass man den Richtigen getroffen hat. Ich kenne eine Frau, die lernte den Richtigen kennen, als sie auf einem Schiff war, um zu einem anderen Mann nach Australien zu ziehen. Auf der Überfahrt freundete sie sich mit einem Mann an, aber weil sie darauf fixiert war, nach Australien auszuwandern, merkte sie gar nicht, dass er der Richtige war. Sie versuchte vergeblich, den Mann in Australien dazu zu bringen, sie zu heiraten, erst dann nahm sie Vernunft an. Zum Glück war der Mann vom Schiff noch interessiert. Und dann kannte ich eine, die …«
Ich schaltete ab. Owen heiraten? Kam gar nicht infrage. Wie sollte ich Owen heiraten, wenn ich wieder mit Anton zusammenkommen würde? Was Owen ja wusste und was er billigte. (Er würde sich wieder mit Lorna zusammentun, ich mit Anton, und wir würden zusammen in der Dordogne Ferien machen. Wir hatten oft darüber gesprochen.)
Mam erzählte weiter, sie kam richtig in Fahrt, was mir recht war, denn so konnte ich ein bisschen nachdenken. Ich fühlte mich etwas unbehaglich, denn es gab noch einen anderen, dem ich gern den Buchumschlag zeigen wollte, nämlich Johnny aus der Apotheke. Das schien nur fair, schließlich wusste er von dem Buch, und er war immer so ermutigend
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