Neue Schuhe zum Dessert
fühlte ich mich sauber.
Viel zu lange hatte ich mit meinen Schuldgefühlen gegenüber Gemma gelebt. Davon frei zu sein, war eine köstliche Erleichterung, und von dem Moment an, als ich Anton verließ, wurde das Leben besser: Ich fing sofort an zu arbeiten – ich arbeitete freiberuflich für eine Agentur und machte Schreibarbeiten zu Hause –, und das war das Zeichen, das ich brauchte.
Irinas Wohnung war groß und leise. Ich arbeitete morgens, wenn Ema zur Spielgruppe ging, und abends, wenn sie schlief. Wenn ich nachmittags arbeiten musste, gab es eine ganze Auswahl an Babysittern: Dad und Poppy kamen regelmäßig zu Besuch, und Ema und Irina verstanden sich prächtig. Ich glaube, Emas slawischer Anteil passte wunderbar zu der Slawin Irina, und Irina betrachtete Emas kleines rundes Gesicht als die perfekte Fläche für die neuesten Clinique-Produkte. Ich versuchte, Irina das auszureden, aber zu leidenschaftlichem Bitten war ich nicht in der Lage. Überhaupt war ich zu nichts Leidenschaftlichem in der Lage. Mir gefiel mein neues Leben. Es war friedlich, undramatisch und ziemlich ereignislos. Nie sah ich irgendwelche Nachbarn auf den stillen Fluren, niemand schien in dem Gebäude zu wohnen. Selbst das unbestimmte Wetter trug dazu bei, mich zu beruhigen. Ein farbloser Himmel und die milde, stille Luft verlangten keine Reaktion von mir. Wenn wir im nahen Regent’s Park spazieren gingen, empfand ich nichts.
Es bestand keinerlei Hoffnung, dass ich etwas Kreatives machen würde. Nach der Reihe von Rückschlägen hatte ich nichts, worüber ich schreiben wollte, und ich war zufrieden, Pressemitteilungen und Broschüren zu tippen. Ich hatte keine Pläne, keine Vision für die Zukunft, ich wollte nur den Tag überstehen. Die Kleinheit meines Lebens gefiel mir. Bis vor kurzem war alles in großem Maßstab passiert – Romane und Verlagsverträge und Häuser –, und ich war zufrieden, dass es jetzt auf häppchengroße Stücke reduziert war. In einem Punkt hatte Anton Recht: Ich war böse auf ihn, weil er mit Geld so leichtsinnig war. Aber seit ich ihn verlassen hatte, kam es mir so vor, als gelte meine Wut einem anderen. Ich wusste, dass sie da war, ich wusste, dass sie in mir wirkte, aber ich konnte sie nicht spüren. Ich spürte allein die Erleichterung, dass ich mein Schicksal in der Hand hatte.
Nicht dass jeder Tag leicht war. Es gab schreckliche Momente, wie den Tag, an dem Katya, eine russische Freundin von Irina, zu Besuch kam und einen süßen kleinen Jungen mit braunen Augen mitbrachte, der erst sechs Monate alt war. Das machte mir bewusst, welche anderen Kinder Anton und ich nicht zusammen haben würden. Die Brüder und Schwestern, die Ema in einem parallelen Universum bereits hatte und die sie nie kennen lernen würde. Das war entsetzlich, aber bevor meine Trauer sich fest um mich schließen konnte, sagte Katya: »Dieses Kind hat wunderbare Haut«, und ich war abgelenkt. Hatte Irina Ema mit Kosmetika behandelt? Schon wieder? Mit dem Porenverkleinerer? Sie war geradezu besessen von dem Porenverkleinerer und versuchte mit missionarischem Eifer, alle von seiner Wirkung zu überzeugen. Ja, gab sie unwirsch zu, sie hatte Emas Haut mit einer »Kaum da«-Schicht von dem Produkt eingerieben. Als ich weiter nachbohrte, gab sie zu, dass sie auch eine Tönungscreme benutzt hatte, und ich war so verärgert, dass ich meine Traurigkeit vergaß.
Ein Tag folgte dem anderen, sie waren alle austauschbar und ohne besondere Merkmale. Nicht einmal befasste ich mich in Gedanken mit der Zukunft, außer wenn sie Ema betraf. Ich beobachtete sie pausenlos und forschte nach Auffälligkeiten. Sie nässte nachts nicht ein, aber das lag daran, dass sie noch Windeln trug. Manchmal, wenn sie Irinas Schlüssel im Schloss hörte, riss sie die Augen auf und flüsterte: »Anton?« Aber abgesehen davon war sie ganz normal.
Sie war immer ein zähes kleines Wesen gewesen, und vielleicht war ihre körperliche Robustheit auch ein Zeichen von emotionaler Widerstandsfähigkeit. Ich musste zugeben, dass sie von dem unsteten Leben nicht aus der Bahn geworfen zu sein schien. Aber ich machte mir Sorgen, dass sie die Erlebnisse nicht verdauen konnte und alles an die Oberfläche kommen würde, wenn sie mit dreizehn Ladendiebstähle beging und anfing, Klebstoff zu schnüffeln.
Mein Trost war, dass ich die meiner Überzeugung nach beste Entscheidung für sie getroffen hatte, und mein Wissen, dass man als Mutter fast ständig mit Schuldgefühlen
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