Neue Schuhe zum Dessert
Wintermantel hatte, wurde er zum ersten Mal zur Elf-Uhr-Messe der Öffentlichkeit vorgeführt.
Aber jetzt, da Mam eine sitzen gelassene Ehefrau war, würde sie jeden Wintermantel ausstechen – und gerade jetzt, im Januar, nach dem Winterschlussverkauf, könnte es welche geben. Alles Gemurmel und alle verstohlenen Blicke würden Mam und ihrem Verlassensein gelten, und der dunkelbraune Mantel aus einem Wolle-Polyester-Gemisch, den Mrs Parsons möglicherweise mit einem Rabatt von fünfundsiebzig Prozent ergattert hatte, würde keinerlei Beachtung finden.
Also ging Mam nicht zur Messe, sie verbrachte einen weiteren Tag in ihrem Bademantel, und jetzt weigerte sie sich, mir zuzuhören.
»Mam, bitte sieh her. Morgen muss ich unbedingt zur Arbeit gehen.«
Ich schaltete den Fernseher aus, und sie drehte sich zu mir um und sagte: »Ich habe das geguckt.«
»Das stimmt doch gar nicht.«
»Nimm dir frei morgen.«
»Mam, ich muss morgen zur Arbeit, weil in den nächsten vier Tagen jede Minute zählt.«
»Das ist schlecht geplant, wenn ihr alles in der letzten Minute macht.«
»Es ist nicht schlecht geplant. Die Miete für das Zelt kostet zwanzigtausend Euro am Tag, deshalb müssen wir alles in die paar Tage quetschen, für die wir das Zelt mieten.«
»Kann Andrea das nicht machen?«
»Nein, ich bin dafür verantwortlich.«
»Und wann bist du wieder zu Hause?«
Panik stieg in mir auf. Normalerweise würde ich in dieser Phase vor Ort bleiben, damit ich jeden Moment, den ich nicht mit Arbeit verbrachte, zum Schlafen nutzen konnte. Aber es sah so aus, als würde ich die Fahrt von Dublin nach Kildare und zurück, die eine Stunde und zwanzig Minuten dauerte, jeden Tag machen. Zwei Stunden und vierzig Minuten weniger Schlaf. Pro Tag. Schrecklich!
Am Montagmorgen, als der Wecker um sechs Uhr klingelte, weinte ich. Nicht nur, weil es sechs Uhr an einem Montagmorgen war, sondern weil ich meinen Dad vermisste.
Die seltsamste Woche meines Lebens lag hinter mir – es war ein solcher Schock gewesen, und ich hatte mich die ganze Zeit um Mam kümmern müssen. Aber daran dachte ich jetzt nicht, und ich war nur traurig. Tränen rannen auf mein Kissen. Störrisch wie ein Kind wollte ich, dass Dad nie weggegangen wäre und dass alles wieder so wäre wie vorher.
Er war mein Dad, und mein Dad sollte zu Hause sein. Er war ein stiller Mann, der das Reden eher meiner Mutter überlassen hatte, aber dennoch war sein Fehlen im Haus fast mit Händen zu greifen.
Es musste an mir liegen. Ich hatte ihn nicht hinreichend beachtet. Ich hatte sie beide nicht beachtet. Ich hatte sie deswegen nicht beachtet, weil ich dachte, sie wären sehr glücklich zusammen. Um ehrlich zu sein, ich hatte gar nicht darüber nachgedacht, so glücklich waren sie mir vorgekommen. Sie hatten mir nie Anlass zu Sorge gegeben, anscheinend verlief ihr Leben in ganz normalen Bahnen, und anscheinend mochten sie sich sehr. Gut, Dad hatte seine Arbeit und spielte Golf, und Mam war den ganzen Tag zu Hause, aber sie hatten eine Menge gemeinsamer Hobbys – Kreuzworträtsel, Ausflüge nach Wicklow, in die schöne Landschaft, und sie interessierten sich für harmlose Mord-in-der-Gemeinschaft-Programme. Inspektor Morse , Midsomer Murders etc. Einmal haben sie sogar bei einem Mord-im-Landhaus-Wochenende mitgemacht, aber das war wohl nicht ganz das, was sie sich erhofft hatten: Sie wollten an der Aufklärung eines Mordfalles arbeiten, mit einem »Mord« und einer Reihe von Indizien, die zu dem Mörder führen würden. Stattdessen wurden sie mit alkoholischen Getränken abgefüllt, in Wandschränke verfrachtet und von kichernden Mit-Aufklärern abgetatscht.
War Dad schon lange unglücklich gewesen? Er war immer so freundlich, aber war das vielleicht eine Tarnung für dunklere, womöglich depressive Gefühle gewesen? Hatte er sich schon lange nach einem anderen Leben gesehnt? Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich ihn nie als Person gesehen, sondern nur als Ehemann, Vater und Golfspieler. Aber er war unendlich viel komplexer, und das Ausmaß des unbekannten Territoriums verwirrte und beschämte mich.
Ich zwang mich aus dem Bett und zog mich für die Arbeit an.
Als es zehn Uhr war, sah die Wiese in Kildare wie ein Filmset aus – überall Lastwagen und Menschen. Ich trug Kopfhörer mit Mikrofon und sah aus wie Madonna auf der Blonde-Ambition-Tour, nur dass mein BH nicht so spitz war.
Das Zelt war aus England geliefert worden, und siebzehn der zwanzig Arbeiter, die bestellt
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