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Neue Schuhe zum Dessert

Neue Schuhe zum Dessert

Titel: Neue Schuhe zum Dessert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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wahrscheinlich nicht viel älter als Sie, Maureen, obwohl, jetzt fällt mir gerade ein, dass Sie wahrscheinlich gar nicht so heißen.«
    »Nein, ich heiße Gemma.«
    »Ich habe auch einen Namen«, sagte er. »Ich heiße Johnny.«
     
    AN:   [email protected]
VON:  [email protected]
THEMA:  Wunder gibt es immer wieder
     
    Stellt dir das mal vor. Der Jungspund hat angerufen. Der, den ich an Codys Geburtstag kennen gelernt habe. Owen oder so ähnlich. Er will sich mit mir treffen. Auf einen Drink, sagt er. Es ist fast zwei Wochen her, sagte ich. Ich wollte mich rar machen, sagte er. Jedenfalls, ich habe ihm erklärt, dass ich nicht ausgehen könnte, und er sagte: »Ich verstehe, du möchtest mehr Zeit mit deiner Kohlenschütte verbringen.«
    Das ist natürlich nicht der Grund, sondern Mam, die mich niemals rauslassen würde. Sie lässt mich nur zur Arbeit gehen und erlaubt mir, ihre Medikamente zu holen, und ich habe nicht die Energie, mich dagegen aufzulehnen, besonders nachdem ich mich an Codys Geburtstag so danebenbenommen habe …
    Schreib mir mal, wie’s dir geht. Irgendwelche hübschen Männer in Sicht?
    Liebe Grüße
    Gemma
     
     
    Wo gerade von Medikamenten die Rede ist, Mam hatte keine Schlaftabletten mehr – sie futterte sie wie andere Leute Smarties  –, also setzte ich mich ins Auto, und wie immer war der nette Mann im weißen Kittel da.
    »Hallo, Gemma«, sagte er. »Nicht Maureen. Gemma. Nach einer Weile wird es mir ganz normal vorkommen. Schließlich haben sie Jif in Cif umgeändert, und eine Weile lang kam sich jeder blöd vor, wenn er es sagte, aber jetzt haben wir uns dran gewöhnt.«
    »Oder Raider in Twix«, sagte ich. »Sind Sie auch manchmal nicht hier?«
    Er dachte einen Moment nach. »Nein.«
    »Und warum? Können Sie nicht noch jemanden einstellen, der Ihnen hilft?«
    »Ich habe jemanden – meinen Bruder. Aber der hatte einen Motorradunfall.«
    Ich schwieg und murmelte etwas Teilnahmsvolles, obwohl ich den Bruder gar nicht kannte. »Wann war das?«
    »Im Oktober.«
    »Gott, das ist ja ewig her.«
    »Und es wird noch ewig dauern, bevor es ihm besser geht. Sein Bein ist komplett zertrümmert.«
    Erneut mitleidvolles Gemurmel.
    »Und man kann keine Vertretung bekommen.«
    »Aber müssen Sie so lange aufhaben? Könnten Sie nicht eher schließen?«
    »Die Leute wissen, dass wir bis zehn aufhaben. Erinnern Sie sich noch an den ersten Abend? Was wäre gewesen, wenn wir zugehabt hätten?«
    Bei dem Gedanken schloss ich die Augen. Eine ausgeflippte Mutter und keine Möglichkeit, sie zu beruhigen. Er hatte Recht.
    »Ich komme auch nicht viel raus.« Ich wollte nicht, dass er dachte, er sei der Einzige. »Die Gänge zur Apotheke zählen als gesellschaftliches Ereignis.«
    »Wie kommt das?« Er war neugierig, und wer konnte es ihm zum Vorwurf machen, ich an seiner Stelle würde mich auch tödlich langweilen, wenn ich immer in dem Laden rumsitzen müsste und nur die Beschriftung auf den Pillenschachteln zum Lesen hätte. Ich erzählte ihm also die ganze Geschichte, und zwar ganz ausführlich: die Anrufe, Colettes Strähnchen, Dads Koteletten, Mams »Herzinfarkte« und wie viel Zeit ich vor dem Fernseher verbrachte.
    Dann kam jemand rein und wollte Augentropfen haben, und ich ging.
    10
    Weil ich Einzelkind bin, war es klar, dass ich mich eines Tages um ein alterndes Elternteil kümmern müsste. Aber ich war noch nicht dazu bereit, noch nicht. Ich hatte gedacht, die Situation liege weit in der Zukunft, und auf dem verschwommenen Bild davon war auch immer ein Mann, der die Bürde mit mir schultern würde. Außerdem hatte ich mir vorgestellt, dass der nicht mehr vorhandene Elternteil so anständig sein würde zu sterben, statt in die Wohnung seiner Sekretärin zu ziehen. Na ja, erstens kommt es anders …
    In erschreckend kurzer Zeit hatte mein altes Leben aufgehört zu existieren. Obwohl ich es aus der Ferne bewundernd betrachtete  – meine Wohnung, meine Freunde, meine Unabhängigkeit  –, war es leichter, Mam nachzugeben. Und um ehrlich zu sein, ohne Dad hatte ich das Bedürfnis, mich an den verbleibenden Elternteil zu klammern.
    Ohne die geringste Absicht meinerseits entwickelten Mam und ich ein Muster, wonach wir die meiste Zeit zu Hause blieben wie ein altes Ehepaar. Ich durfte zur Arbeit gehen – oder zur Apotheke, um Mams Medikamente zu holen – und kam dann nach Hause und saß neben ihr auf dem Sofa, und Abend für Abend sahen wir uns die gleichen Fernsehsendungen an:

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