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Neue Schuhe zum Dessert

Neue Schuhe zum Dessert

Titel: Neue Schuhe zum Dessert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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mir einfiel, dass ich – typisch für meine Organisation – nicht wusste, wie Anton aussah. Ich hatte nur Gemmas Beschreibung, nach der er »obersüß, wahnsinnig sexy« war. Aber das, was für eine Frau sexy war, war für die nächste völlig absurd und indiskutabel. So was Blödes, schalt ich mich, kniff die Augen zusammen und richtete meinen Blick auf den U-Bahneingang in der Ferne, in der Hoffnung, dass nicht allzu viele gut aussehende Männer da sein würden. (Schon dieser Gedanke zeigte, dass ich auf eine besondere Form des Wahnsinns zusteuerte.)
    Noch während ich suchend umherblickte, sah ich, dass jemand vor dem Bahnhof mich beobachtete. Ich wusste sofort, dass er es war. Ich wusste es einfach.
    Ich stolperte zwar nicht wirklich, aber es fühlte sich an, als wäre ich gestolpert. Unter Schock purzelten alle meine Gedanken durcheinander und ordneten sich neu, und in einem einzigen Augenblick hatte sich alles verändert. Ich weiß, dass das absurd klingt, aber es war die Wahrheit.
    Ich hätte stehen bleiben können. Schon in dem Moment wusste ich, dass ich umdrehen und die Zukunft auslöschen sollte, aber ich setzte weiter einen Fuß vor den anderen, als würde mich ein unsichtbarer Faden direkt zu ihm führen. Ich spürte Klarheit und Angst und ein nicht zu ignorierendes Gefühl des Unvermeidlichen.
    Jeder Atemzug war laut und langsam, als wäre ich beim Tiefseetauchen, und als ich näher kam, musste ich meinen Blick von ihm abwenden. Ich senkte meine Augen auf den Gehweg – weggeworfene U-Bahnkarten, Zigarettenstummel, zerbeulte Coladosen  –, bis ich vor ihm stand.
    Das Erste, was er sagte, war: »Ich habe dich schon aus der Ferne kommen sehen. Ich wusste gleich, dass du es bist.« Er strich eine Haarsträhne aus meinem Gesicht.
    »Und ich wusste, dass du es bist.«
    In dem unablässigen Strom von Menschen, die hin und her eilten wie Figuren in einem Film mit Schnellvorlauf, standen Anton und ich bewegungslos wie Statuen, sahen einander an, seine Hände auf meinen Armen, und bildeten einen magischen Kreis.
     
    Wir gingen in eines der hübschen Pubs in der Nähe, er führte mich zu einem Platz auf einer Bank und fragte: »Was trinkst du?« Seine weiche, melodiöse Stimme ließ mich an Meeresbrise und den Geruch von Heidekraut in dunstiger Luft denken. Er kam aus Donegal, im Nordwesten Irlands. Irgendwann später entdeckte ich, dass sie da alle so sprachen.
    »Aqua Libra«, sagte ich, weil ich befürchtete, Alkohol würde mein schon entflammtes Inneres noch mehr zum Lodern bringen. Er lehnte an der Bar und sprach mit dem Barkeeper, und inzwischen registrierte ich in großer Verwirrung, was ich sah. Er war lang und schlaksig und so dünn, dass seine Jeans lose über dem Po hing. Sein Hemd war bunt gemustert – kein Hawaiihemd, aber doch fast. Ein Spinner . So hatte Cody ihn beschrieben.
    Aber er hatte schwarze Haare, die ganz seidig und weich aussahen, und ein schönes Lächeln, und sowieso hatte das, was hier ablief, nichts mit seinem Äußeren zu tun.
    Er kam mit den Getränken zum Tisch, setzte sich zu mir, stützte seine Arme auf und sah mich mit vor Freude funkelnden Augen an. Gleich würde er etwas Nettes sagen, ich wusste es, und deswegen kam ich ihm mit einer unverfänglichen Frage zuvor.
    »Hat deine Wohnung in Vauxhall eine Mikrowelle?«
    »Ja, hat sie«, sagte er freundlich. »Und einen Kühlschrank mit Gefrierfach, einen Herd, einen Wasserkessel, einen Toaster und eine Abzugshaube. Und das ist nur die Küche.«
    Stockend stellte ich noch andere Fragen, jede blöder als die vorherige. Wie gefiel es ihm in London? War seine Wohnung in der Nähe der U-Bahn? Mit großem Ernst beantwortete er sie alle. Aber die wichtigen Fragen gingen an mich. Ich betrachtete Antons Gesicht und fragte mich: Was geschieht hier? Was hat er, dass ich mich so fühle, wie ich mich fühle?
    Ich überlegte, ob es daran lag, dass er der lebendigste Mensch schien, dem ich je begegnet war. Seine Augen leuchteten, und bei jedem Lachen oder Stirnrunzeln spiegelten sich seine Gedanken auf seinem Gesicht wider.
    Alles, was ich an ihm entdeckte, rührte mich – die Länge seiner Finger und die kräftigen Knöchel, so anders als bei mir. Sein knochiges Handgelenk, bei dessen Anblick ein unaussprechliches Gefühl über mich kam. Ich wollte seine Zerbrechlichkeit halten, die so gar nicht zu diesem langen, lebendigen Mann passte, und darüber weinen.
    Aber es gab ein Thema, das wir bisher umgangen hatten, und je länger wir

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