Neue Schuhe zum Dessert
es mieden, desto mehr drängte es sich durch seine Abwesenheit in den Vordergrund. Schließlich warf ich es wie eine Konversationsgranate dazwischen.
»Wie geht es Gemma?«
Es war unmöglich, dass ich nicht fragte. Sie war der Grund, warum wir uns überhaupt trafen, und ich konnte nicht so tun, als wäre das nicht so. Anton senkte den Blick, dann hob er ihn. »Es geht ihr gut.« Seine Schuldgefühle waren ihm an den Augen abzulesen. »Ich bin ihrer nicht wert. Das sage ich ihr die ganze Zeit.«
Ich nickte und nahm einen Schluck aus meinem Glas, dann wurde mir schwindlig, und ein Gefühl der Übelkeit stieg in mir auf. Meine Beine waren wie Wackelpudding, als ich aufstand und aufs Klo ging. Ich warf die Tür hinter mir zu und würgte und würgte, bis ich alles erbrochen hatte.
Immer noch wacklig kam ich wieder raus, ließ mir kaltes Wasser über die Handgelenke laufen und fragte mein Spiegelbild: Was um alles in der Welt passiert hier eigentlich?
Es war ganz einfach: Ich war dabei, mich in Anton zu verlieben, und das hatte mir Übelkeit verursacht. Ich musste fortwährend an Gemma denken. Ich liebte Gemma. Und Gemma liebte Anton.
Ich ging wieder in die Bar und sagte: »Ich muss jetzt nach Hause.«
»Ich weiß.« Er verstand.
Er brachte mich zu meiner Tür und sagte: »Ich rufe dich morgen an.« Dann berührte er meine Fingerspitzen mit seinen.
»Bis dann.« Ich rannte nach oben, in meine Wohnung, die mir Schutz geben würde. Aber als ich drinnen war, fühlte ich mich nicht besser. Ich lief ziellos hin und her, unfähig, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Alles, was im Fernsehen lief, irritierte mich, mein Buch konnte mich nicht packen, ich musste mit jemandem sprechen … aber mit wem? Fast alle meine Freunde waren auch Gemmas Freunde. Jessie, meine Schwester, machte mit ihrem Freund Julian eine Weltreise. Die letzte Postkarte von ihr war aus Chile.
Vielleicht meine Mum … Aber die hielt sich meine Anrufe möglichst vom Leib. Ich vermutete, dass sie nicht mit mir sprechen wollte, falls ich sie fragte, ob ich wieder bei ihr einziehen könne. Was Dad anging, so war er der Ansicht, dass niemand gut genug für mich war, schon gar nicht einer von Gemmas abgelegten Liebhabern. Von ihm brauchte ich mir kein Verständnis zu erhoffen. In meiner Verzweiflung hätte ich am liebsten die Samariter angerufen.
Liebe auf den ersten Blick sollte anders sein – nur hoffnungslos romantische Menschen glaubten überhaupt daran. Klar, man kann der Lust erliegen. Aber auf den ersten Blick weiß man nichts darüber, wie der Mann im Restaurant andere Frauen beäugt und es hinterher leugnet. Man weiß nichts von seiner Weigerung, sich ins Auto zu setzen, wenn man selbst am Steuer sitzt. Und nichts von seiner Unzuverlässigkeit, wenn er verspricht, um halb acht zu Hause zu sein, und dann kurz vor zehn in einer Wolke von Jack Daniels und dem Jo-Malone-Duft einer anderen vor der Tür steht.
Trotzdem hatte ich immer daran geglaubt, obwohl es noch abgedrehter ist, als an ehrliche Politiker zu glauben. Ich stürzte mich begierig auf Geschichten von Liebe auf den ersten Blick, als wären sie kostbare Edelsteine. Während ich bei Mulligan Taney arbeitete, lernte ich einen Mann kennen – einen wichtigen Industrieboss, der Mitarbeiter nach Gutdünken einstellen und feuern konnte – und der erzählte mir, dass er schon fast mit einer Frau verlobt war, als er die LsL (Liebe seines Lebens) kennen lernte. »Als ich sie das erste Mal sah, war es mir sofort klar.« Das hat er gesagt.
(Ich weiß gar nicht mehr, wie wir damals auf das Thema gekommen waren. Wir waren in einer Besprechung, in der es darum ging, eine kleine Gemeinde davon zu überzeugen, dass die Krebs erregenden Stoffe, die seine Firma in das Trinkwasser einleiten wollte, nicht gefährlich seien.)
Es war daher eine böse Überraschung, als ich feststellte, dass Liebe auf den ersten Blick kein bisschen angenehm war. Statt dass mein Leben einfach auf den richtigen Kurs einschwenkte und ich endlos glücklich war, geriet ich völlig aus der Spur.
Auch ohne Gemma war das eine verwirrende Situation, aber mit ihr …
Ich legte mich, wie zur Therapie, auf mein Sofa, und versuchte mich daran zu erinnern, was sie über Anton erzählt hatte: dass er im Bett fantastisch war, dass er einen großen Schwanz hatte – aber das war Standard. Sie hatte nie erwähnt, dass er der Typ war, dem die Frauen zu Füßen lagen. Ein irischer Warren Beatty, der alle Frauen in seiner Umgebung
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