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Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Titel: Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regner
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kapiert. Er kam sich langsam ein bißchen pervers vor.
    »Was ist denn der Punkt?«
    »Der Punkt ist, daß sie ganz genau wissen, daß du nicht ehrlich bist. Wenn du ihnen so eine Art von Gewissen vorspielst oder vortäuschst, wie sie es sich vorstellen, dann muß das ja Quatsch sein, so kann höchstens einer von zehntausend denken, so kann kein vernünftiger Mensch drauf-sein, und so ist auch keiner drauf.«
    »Hm …«, sagte sein Bruder, »das weiß ja nun jeder. Und die wissen das auch, okay. Aber wo ist das Problem?«
    »Das Problem ist, daß du weißt, daß du lügst, und sie wissen das auch, und sie wollen auch nicht die Wahrheit rausfinden, sie wollen, daß du eine bestimmte Haltung einnimmst, eine bestimmte Litanei da runterbetest, die wollen praktisch einen totalpazifistischen Vollidioten sehen, und nur wenn du ihnen den vorspielst, dann bist du okay und kommst durch.«
    »Ja nun, das kommt mir zwar ein bißchen verallgemeinernd vor, aber … «
    »Ich sage ja nicht, daß das böse Menschen sind oder sowas«, sagte Frank, »darum geht es ja nicht, es ist auch keine Verabredung oder so, das ergibt sich einfach logisch aus der Gesetzeslage und so weiter, die ganze Idee ist halt pervers.«
    »Ja gut, aber wo ist das Problem?«
    »Das Problem liegt darin«, sagte Frank, »daß man die Sache an sich akzeptieren und sich selbst zum Freak machen muß, der nur deshalb, weil er im Kopf anders ist als seine Kameraden, privilegiert werden will. Man muß sich selbst zum der Welt völlig entrückten Heiligen stilisieren, um da durchzukommen, man muß sich selbst über die anderen stellen, um da durchzukommen, das ist das Problem.«
    Sein Bruder blieb stehen und sah ihn an. »Frankie, ich glaube, wenn einer es verdient hätte, da durchzukommen, dann du. Du bist, glaube ich, der einzige unter zehntausend, der so um mehrere Ecken denken kann. Ich möchte echt mal wissen, wie die es geschafft haben, dich abzulehnen. Du mußt die doch totgeredet haben, oder jedenfalls schwindelig.«
    »Glaube ich nicht«, sagte Frank und gab es auf, die Sache noch genauer zu erklären. Immerhin war er mit seinem Bruder schon weiter gekommen als mit den anderen. Vielleicht wird Sibille die Sache verstehen, dachte er, und war sich mit einem Male bewußt, warum ihn das alles gar nicht mehr so sehr tangierte: Das Leben hatte seit gestern nacht eine ziemlich helle Farbe, fand er. »Ich glaube, es war einfach ein bißchen zu früh am Morgen, und wir waren alle ziemlich schlecht gelaunt bei der Verhandlung, das war quasi ein Festival der schlechten Laune, wenn man mal so drüber nachdenkt.«
    Sein Bruder lachte. »Das ist doch mal eine Erklärung, die ich verstehe. Das ist ein gutes Fischgeschäft«, wechselte er das Thema, und zeigte mit dem Finger auf die Auslage des
    Fischgeschäfts, vor dem sie standen.
    »Das bringt nichts, mit dem Finger in das Schaufenster zu zeigen«, sagte Frank, »da ist doch nichts mehr drin.«
    »Schmeißen die den Fisch eigentlich weg übers Wochenende?« fragte sein Bruder.
    »Quatsch«, sagte Frank, »nur den, der stinkt, natürlich.«
    »Oder die braten den oder was«, sagte sein Bruder. »Das ist ein gutes Fischgeschäft, da konnte man auch immer gut essen.«
    »Kann man immer noch.«
    »Die Pommes waren gut. Und die Mayonnaise«, sagte Franks Bruder.
    »Du willst jetzt nicht wirklich mit mir über dieses Fischgeschäft reden, oder?« sagte Frank. »Ich meine, das ist nicht wirklich ein Thema, oder? Fischgeschäfte?«
    »Dir kommt das vielleicht komisch vor«, sagte sein Bruder, »und ich hätte das vor einem Jahr auch noch nicht gedacht, aber neulich ist mir aufgefallen, was mir in Berlin wirklich stinkt: daß man da nirgendwo richtig gut Fisch kaufen kann.«
    »Alles klar«, sagte Frank. »Laß uns doch mal eben zehn Meter weitergehen, dann kannst du mir vor dem Fahrradgeschäft ja noch erklären, daß man in Berlin keine guten Fahrräder kaufen kann.«
    »Nein, im Ernst«, sagte Franks Bruder. »Du denkst, das ist nicht wichtig, du denkst über sowas gar nicht nach, aber wenn du erst mal ein paar Jahre in Berlin gewohnt hast, dann merkst du das auch. Es gibt Sachen, die einem wichtig sind, ohne daß man das weiß, oder jedenfalls merkt man es erst, wenn man sie nicht mehr hat.«
    »Zum Beispiel Fisch?« sagte Frank.
    »Ja, zum Beispiel auch Fisch.«
    »Du kannst mir doch nicht erzählen, daß die da keine Fischläden haben!«
    »Doch, haben die. Da muß man zwar ein bißchen suchen, aber haben die. Aber wenn du

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