Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
wenn ihr da hingeht, was soll ich sonst machen? Fernsehen ohne Strom? Lesen bei Kerzenschein? Alleine saufen? Wo ist das überhaupt?«
»Das ist in der Aula von der Schule in der Kohlhökerstraße«, sagte Achim. »Komm mal mit, das kann lustig werden. Laber, laber, laber!«
»Was soll der denn da?« sagte Ralf Müller. »Was hat Frankie denn dabei zu suchen? Ausgerechnet! Außerdem ist die Schule nicht in der Kohlhökerstraße, die Schule ist in der Contrescarpe.«
»Wieso?« sagte Achim. »Wir gehen doch immer von der Kohlhökerstraße aus rein.«
»Ja, aber die offizielle Adresse der Schule ist Contrescarpe 26.«
»Nein, Ralf, wirklich?« sagte Achim. »Das ist ja Wahnsinn. Gut, daß wir dich haben, Ralf, was würden wir ohne dich anfangen. Am Ende wären wir weiter in dem Glauben geblieben, die Schule wäre in der Kohlhökerstraße.«
»Nein, die ist in der Contrescarpe«, beharrte Ralf Müller unbeeindruckt. »Außerdem wird man ja wohl noch fragen dürfen, was der da überhaupt will?«
»Wieso, Ralf Müller?« sagte Frank. »Ich denke, da darf jeder hin, oder bestimmst du das? Bist du da der Oberguru, Ralf Müller, oder was? Außerdem ist da geheizt, und sie haben ein Klo, immerhin.«
»Das hat jetzt noch gefehlt«, sagte Ralf Müller säuerlich, »daß da jetzt noch alle hinkommen, die sich bloß mal aufwärmen wollen.«
»Nun hör mal auf, Ralf«, sagte Martin Klapp, »wenn Frankie mitkommt, dann ist das doch genau richtig. Ich meine, wer hat mehr Grund, gegen diese Vereidigung zu sein, als er?«
»Eben«, sagte Frank, aber ihm war nicht ganz wohl dabei. Man müßte ehrlicher sein mit Martin, dachte er, man sollte ihm die Sache mit Sibille erzählen. Später, dachte er zur eigenen Beruhigung, später, wenn alles klar ist.
»Gehen wir«, sagte Achim.
Als sie in der Aula der Schule an der Kohlhökerstraße ankamen, war es dort schon so voll, daß sie an der Wand stehen mußten zwischen vielen anderen Ex-Genossen von Martin, Ralf und Achim, denn das war den dreien dann doch wichtig, daß sie unter Genossen oder auch Ex-Genossen standen, es ist manchmal unbequem, wenn man mit Martin befreundet ist, dachte Frank, als er mit dem Rücken zur Wand und hoffnungslos von Genossen und ExGenossen eingeklemmt in den Raum spähte und nach Sibille suchte. Martin, Ralf und Achim waren unterdessen dabei, alle möglichen Leute zu begrüßen, vor allem Achim erntete viel Schulterklopfen, was Frank zu der Einschätzung brachte, daß die meisten dieser Genossen wohl selber mittlerweile ausgetreten, also ExGenossen waren, das ergibt eine ganz neue Politgruppierung, die Fraktion der ExGenossen, dachte er, während vorne am Rednerpult eine Frau die Leute mit einem längeren Vortrag auf den Abend einstimmte.
»Nur zur allgemeinen Einführung will ich ein paar Dinge sagen«, begann sie ihren Vortrag, und dann redete sie davon, daß es wichtig sei, sich auf das eine Thema zu konzentrieren, nämlich auf die Verhinderung der Vereidigung im Weserstadion, und daß man dafür alle anderen Differenzen in den Hintergrund stellen solle, weil ein breites Bündnis das Gebot der Stunde sei, und daß sie hoffe, daß es heute abend nicht wieder zu endlosen Reibereien über zweitrangige Fragen käme, die die Breite der Aktionseinheit eher verhinderten als förderten. An dieser Stelle kamen bereits die ersten Zwischenrufe, und auf die Zwischenrufe kamen andere Zwischenrufe, woraufhin die Frau abgab an den Leiter der Versammlung, der sich, und das war dann auch für Frank überraschend, als Wolfgang entpuppte, Wolfgang, der Lehrer, Ex-Genosse und Ex-Mitbewohner von Martin Klapp, und als er ans Rednerpult trat, entdeckte Frank auch seine Frau, die ganz in der Nähe auf einem Stuhl saß und ihrem mittlerweile geborenen Kind gerade die Brust gab.
Wolfgang bekam ein bißchen Beifall aus der Mitte des Saals, nicht aber von den Genossen und Ex-Genossen um Frank herum, die buhten ihn aus, was Frank zu der Annahme brachte, daß Wolfgang mehr als nur ausgetreten war, wahrscheinlich hat er die Seiten zu schnell gewechselt, dachte er, wahrscheinlich ist er schon bei den Grünen, das geht manchmal schnell, dachte er, da ist dann Ex-Genosse nicht mehr gleich Ex-Genosse, dachte er und nahm sich vor, Martin Klapp, der irgend etwas in Richtung Rednerpult brüllte, bei Gelegenheit mal nach Details zu fragen.
Wolfgang ließ sich, falls ihn die Buhrufe seiner Ex-Genossen verwirrten, davon nichts anmerken. Er erklärte sich zum Kandidaten für das Amt des
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