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Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd

Titel: Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regner
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Komisches, es war alles in allem ein friedliches Bild, das sich ihm bot, und plötzlich sah er seine Situation in einem anderen Licht. Mich gibt’s gar nicht, dachte er und öffnete seine Trainingsjacke, weil es so warm war. Er ging die
    Treppenstufen des Eingangs hinunter und schlenderte, um in Ruhe nachdenken zu können, langsam zum Gebäude der 4. Kompanie. Es ist alles ein Irrtum, dachte er, ohne Einstellungsuntersuchung können die mich gar nicht hierbehalten, eine G-Karte haben sie auch nicht, ich bin Tauglichkeitsstufe 3, dachte er, wahrscheinlich wollen sie mich gar nicht haben, sie haben mich verwechselt, dachte er, mich brauchen sie nicht, war ja klar, dachte er, die meinen einen ganz anderen Lehmann. In der Ferne brüllte jemand herum, es war irgendein Soldat, der dort auf dem Asphalt vor der 4. Kompanie allein und völlig sinnlos, wie Frank fand, herumstand und dabei brüllte wie am Spieß. Vollidiot, dachte Frank, das sind doch alles Idioten hier, das ist alles ein Irrtum, Lehmanns gibt’s ja wie Sand am Meer, dachte er, die haben sich geirrt, das wird sich alles aufklären, und dann schnell nach Hause, die spinnen hier ja alle, dachte er, was brüllt der denn da so bescheuert rum, da steht doch überhaupt keiner, der ihm zuhören kann, und dann war er etwas näher dran und sah, daß der Mann in seine Richtung brüllte. Was ist denn bloß mit dem los, dachte er und blickte sich um, um nachzuschauen, wen der Mann meinen könnte, er schrie irgendwas von wahnsinnig sein und so weiter, Frank war jetzt nahe genug dran, um einige Worte zu verstehen, die sind bescheuert, dachte er, wahnsinnig ist ein noch zu schwaches Wort für das, was hier abgeht, der Mann ist verrückt geworden. Und dann sah er, daß der, der so brüllte, Feldwebel Meyer war, und dann begriff er auch, daß das Gebrüll ihm galt, es ging darum, ob er wahnsinnig sei, es ging um unvorschriftsmäßiges Tragen des Sportanzugs und um die Hände, die Frank schlendernderweise in die Hosentaschen gesteckt hatte, und ob er wahnsinnig sei, so herumzutrödeln, und darum, wo er eigentlich herkam, und dann stürmte Feldwebel Meyer auch noch auf ihn zu und brüllte dabei immer weiter. Frank zuckte zusammen, es hatte fast den Eindruck, als wollte der Feldwebel ihn wirklich schlagen. Der will mich zu Klump hauen, dachte Frank sinnlos, das darf er nicht, aber dieser Gedanke nützte nicht viel, und Frank rannte los, wie es das Gebrüll des Feldwebels von ihm forderte, er rannte in das Kompaniegebäude hinein und die Treppen hoch, hörte dabei gerade noch hinter sich jemanden verwundert »Wo kommt der denn jetzt her?« rufen, und dann war er schon oben und traf atemlos auf Fahnenjunker Tietz, der zusammen mit Fahnenjunker Heitmann und GUA Pilz vor Franks Kameraden stand, die in grüner Uniformkleidung auf dem Flur angetreten waren.
    »Wo kommen Sie denn jetzt her?« brüllte Fahnenjunker Tietz. Auch er muß immer brüllen, dachte Frank, auch er ist ein Vollidiot, aber der magische Moment, in dem er gedacht hatte, daß ihn das alles nichts angehe, daß alles ein Irrtum sei, war verflogen.
    »Meine G-Karte ist nicht da«, sagte er, in der Hoffnung, damit irgendeine Wirkung zu erzielen, das müßte ihm den Ernst der Lage klarmachen, dachte er, schließlich könnte ich herzkrank sein und gleich tot umfallen, und dann sieht er alt aus. Ohne G-Karte geht nichts, erinnerte er sich an die Worte des Stabsarztes, keine Einstellungsuntersuchung, keine Einstellung, versuchte er sich einzureden, aber das alles hatte auch für ihn selbst keine Überzeugungskraft mehr, hier, im zweiten Stock des Kompaniegebäudes, Auge in Auge mit Fahnenjunker Tietz.
    »Soso, die G-Karte ist nicht da«, sagte der Fahnenjunker höhnisch. »Na und? Was geht mich das an? Seh ich aus wie einer von diesen Hämorrhoidenschneidern vom San-Bereich, oder was? Wollen Sie mich damit beeindrucken? Daß Ihre G-Karte nicht da ist? Ich wollte Sie schon wegen Fahnenflucht zur Fahndung ausschreiben, Lehmann!« Er lachte. Fahnenjunker Heitmann und GUA Pilz lachten mit.
    »Die konnten keine Einstellungsuntersuchung machen«, versuchte Frank zu retten, was zu retten war. »Ich soll das hier sagen, daß die G-Karte nicht da ist und daß die keine
    Einstellungsuntersuchung machen können.«
    »Herr Fahnenjunker«, sagte Fahnenjunker Tietz nachdenklich. »Am Ende des Satzes Herr Fahnenjunker.«
    Frank schwieg. Er kommt ins Grübeln, dachte er, er will Zeit gewinnen.
    Aber Fahnenjunker Tietz grübelte nicht lange.

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