Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
noch ein langer Weg.«
Dann meldete er sie dem Hauptmann, der auch noch etwas sagen wollte.
»Ich will es kurz machen«, sagte er, während Frank darüber nachdachte, was er mit den vielleicht zwei Stunden, die er freihaben würde, anfangen sollte, »ich weiß, daß das alles für Sie nicht immer leicht ist. Es ist noch kein Soldat vom
Himmel gefallen, und Sie müssen sich vielleicht erst noch daran gewöhnen, wie die Sache hier läuft. Aber eins muß klar sein: So wie das hier läuft, so läuft das nun mal. Ihre Ausbilder tun alles, um Ihnen den Anfang hier zu erleichtern, aber wenn Sie nicht mitspielen, werden Sie hier keinen Spaß haben. Und Spaß muß sein, deshalb werden wir dafür sorgen, daß Sie so viel Spaß wie möglich haben, und dafür müssen Sie alles lernen, was es zu lernen gibt. Das wollte ich Ihnen für Ihren ersten freien Abend noch auf den Weg geben. Und wenn um zehn Uhr nicht alle in den Betten sind, dann wird es zappenduster. Und ich will keine Klagen hören über die Zeit davor. Genießen Sie Ihren freien Abend.« Was will der Mann, dachte Frank, was will er sagen? Er war überhaupt ratlos: Sollte er die Kaserne verlassen? Ging das überhaupt? Konnte er sich einfach so zivile Sachen anziehen und rausgehen? Und wenn ja, wo sollte er hin? Sie waren hier in Dörverden/Barme, und bis zur nächsten richtigen Stadt, und das war auch bloß Verden an der Aller, also kein Ort, in dem er sich auskannte oder auskennen wollte, waren es vielleicht zehn Kilometer, schätzte er.
»Noch Fragen?« Der Hauptmann schaute auffordernd in die Runde.
Ich sollte fragen, dachte Frank, was dieser Seidel kann, kann ich auch.
»Wie, keine Fragen?« rief der Hauptmann auffordernd. »Ist Ihnen alles klar? Wollen Sie gar nichts wissen?«
Jetzt oder nie, dachte Frank. Er hob den Arm.
»Dürfen wir raus?«
»Was? Was murmeln Sie da?«
»Dürfen wir hier raus?« wiederholte Frank.
»Dürfen wir raus hier, was?« brüllte der Hauptmann. »Und sehen Sie nach vorne«, fügte er brüllend hinzu, denn viele Soldaten hatten sich nach Frank umgedreht, er stand in der letzten Reihe.
»Dürfen wir aus der Kaserne raus?« wiederholte Frank, der mittlerweile sehr bereute, damit angefangen zu haben, verzweifelt.
»Dürfen wir aus der Kaserne raus, was?« brüllte der Hauptmann zurück.
»Dürfen wir aus der Kaserne raus zwischen Abendessen und Zapfenstreich?« brüllte Frank.
»Sie!« brüllte der Hauptmann, »wie heißen Sie überhaupt?«
»Pionier Lehmann«, brüllte Frank.
»Dann hören Sie mal gut zu, Pionier Lehmann, hören Sie gut zu: Wenn Sie mich anreden, dann sagen Sie immer Herr Hauptmann am Ende, immer, haben Sie das verstanden?«
Frank schwieg. Man hätte es nicht anfangen dürfen, dachte er. Wenn man mit ihnen redet, ist man schon verloren, dann ist man schon dabei, dann haben sie einen.
»Haben Sie das verstanden, Herr Pionier?« brüllte der Hauptmann.
»Ja, Herr Hauptmann«, brüllte Frank zurück. Er hatte jetzt keine Angst mehr, dafür war er zu wütend.
»Dann ist ja gut. Und Sie dürfen raus, ja, das ist ja kein Gefängnis hier. Aber nur in Zivil oder im kleinen Dienstanzug. Und wenn Sie rausgehen, den Dienstausweis nicht vergessen, sonst kriegen Sie Ärger, wenn Sie wieder reinwollen. Hier darf nicht jeder rein, hier dürfen nur die Besten rein.« Der Hauptmann lachte, und die Ausbilder lachten mit. »Und um 10 Uhr ist Zapfenstreich. Wehe dem, der zu spät kommt, haben Sie das verstanden, Herr Pionier Lehmann?«
Frank schwieg.
»Haben Sie das verstanden?«
»Ja, Herr Hauptmann.« Frank schäumte vor Wut. Er hatte nicht übel Lust, sich seine Zivilklamotten anzuziehen, aus der Kaserne zu gehen, sich in seinen alten Kadett zu setzen und für immer zu verschwinden. Bloß, dachte er, wohin? Nach Berlin, zu Manni? Da kriegen sie mich, dachte er. Ins Ausland? Er versuchte, während der Hauptmann noch etwas vor sich hin plauderte, sich ein Leben im Untergrund in Holland oder Dänemark vorzustellen, den einzigen fremden Ländern, die er bis jetzt gesehen hatte, und dort auch nur die Campingplätze, auf die seine Eltern in seiner Kindheit mit ihm und seinem Bruder gefahren waren. Er sah sich auf einem Campingplatz in Holland vor einem kleinen Zelt sitzen und den Winter erwarten, eine Nudelsuppe auf einem Gaskocher erhitzend, und er beschloß, daß das keine Lösung war.
»Haben Sie das auch verstanden, Herr Pionier Lehmann?« rief der Hauptmann, der die ganze Zeit weitergeredet hatte, plötzlich. Frank
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