Neue Vahr Süd: Neue Vahr Süd
mit den Zehen wackelte.
»So, nun setzen Sie sich mal, Lehmann«, sagte der Hauptmann freundlich, als Frank kurze Zeit später vor ihm stand. Der Spieß hatte ihn abgefangen und ihm gesagt, daß der Hauptmann noch einmal mit ihm sprechen wollte.
»Wohin?« fragte Frank, denn vor dem Schreibtisch des Hauptmanns gab es nichts zum Sitzen.
»Ja, ist auch egal, dann bleiben Sie halt stehen. Ich will es sowieso kurz machen, Lehmann. Ich habe Sie kommen lassen, damit es gar nicht erst zu Mißverständnissen und Latrinenparolen kommt wegen dieser Reinbothsache.« Der Hauptmann machte eine kurze Pause. »Die Sache ist die: Er hat einen Selbstmordversuch unternommen, einen ziemlich unernsten, wie ich finde, aber das sei mal dahingestellt, sowas ist immer gefährlich, das ist kein Spaß, sowas.« Er seufzte. »Jedenfalls ist das nicht wegen der Disziplinarsache, Lehmann. Das können Sie gleich vergessen, da irren Sie sich gewaltig.«
»Okay«, sagte Frank.
»Das ist wegen seiner Freundin«, sagte der Hauptmann. »Wir haben mit ihm geredet, und er hat gesagt, daß sich seine Freundin von ihm getrennt hat. Deswegen wollte er nach dem ersten Wochenende nicht zurück, und deswegen jetzt dieser Kram mit dem Selbstmordversuch. Hat sich das also auch aufgeklärt.«
»Ja«, sagte Frank. »Okay.«
»Jetzt glauben Sie wahrscheinlich, daß Sie das ja schon immer gewußt haben«, sagte der Hauptmann.
»Warum sollte ich das glauben?« sagte Frank.
»Sie haben gar nichts gewußt, Lehmann. Und wenn Sie was gewußt haben, wenn zum Beispiel Reinboth Ihnen was davon erzählt hat, und Sie haben mir das nicht weitererzählt, warum auch immer, dann sind Sie sogar noch mit schuld an der Sache.«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen«, sagte Frank.
»Soso, wissen Sie nicht?«
»Nein.«
»Wollen Sie gar nicht wissen, was wir jetzt mit Ihrem Kameraden vorhaben?«
»Welchem Kameraden?«
»Reinboth.«
»Ach so …« Es ist ganz einfach, dachte Frank, wenn man will, ist es ganz einfach, man muß sich nur blöd stellen, das reicht. Aber Spaß macht das auf die Dauer auch nicht, dachte er, das kann nicht die Lösung sein.
»Wir werden ihn versetzen. Sonst nichts. Es wird keine wie-teren Disziplinarmaßnahmen geben wegen der Sache. Sie wissen ja, daß wir ihn eigentlich deswegen auch noch mal belangen könnten.«
Der Hauptmann wartete, aber Frank sagte nichts.
»Den Gefallen tun wir Ihnen nicht«, sagte der Hauptmann.
Er wartete wieder, aber Frank sagte noch immer nichts. »Noch Fragen, Herr Pionier?«
»Nein, Herr Hauptmann.«
»Dann melden Sie sich gescheit ab und gehen Sie. Ich habe keine Lust mehr, mich mit Ihnen zu unterhalten.«
»Pionier Lehmann, melde mich ab.«
»Jaja, gehen Sie schon.«
Frank ging zur Tür hinaus ins Licht. Im Vorzimmer war keiner mehr, auch der Spieß nicht, sie hatten alle schon Feierabend gemacht. Die Uhr an der Wand zeigte Viertel vor acht. Die anderen waren sicher schon im Galopp zum Outpost unterwegs, um die Happy Hour nicht zu verpassen. Er überlegte, hinterherzugehen, schließlich war Hartmann nicht mehr dabei, da wurde jeder Mann gebraucht. Und alles war besser, als bei den beiden Offiziersanwärtern und den anderen Kameraden, mit denen er nichts anfangen konnte, auf der Stube herumzuhängen. Er zog sich um, wobei ihm Neuhaus, Raatz und Neubarth zusahen, und trabte zum Kasernentor, und dabei dachte er: Happy Hour ist auf Dauer auch keine Lösung. Happy Hour ist vielleicht immer noch besser als gar nichts, dachte er, aber die Lösung ist sie nicht.
Als er an das Kasernentor kam, überlegte er es sich plötzlich anders, drehte um und ging zwischen Kantine und Kompaniegebäuden hindurch zum San-Bereich.
»Ich wollte mal fragen, wie es so geht«, sagte Frank, als er Pionier Reinboth gefunden hatte.
Pionier Reinboth lag ganz alleine in einem Krankenzimmer mit sechs Betten und war trotzdem nicht gerade erfreut über Franks Besuch.
»Wie soll’s mir schon gehen?«
»Naja, nur so, meine ich. Ich wollte nur mal fragen, ob ich irgendwas für dich tun kann?«
»Nein.«
»Ich meine …« Frank hielt inne. Er wußte nicht mehr, was er jetzt noch sagen sollte, ich habe mein Pulver an Phrasen und Lügen verschossen, dachte er, jetzt hilft nur noch die Wahrheit.
»Ich will bloß meine Ruhe haben«, sagte Pionier Reinboth. »Laßt mich in Ruhe! Alle!«
»Okay«, sagte Frank. »Aber ich habe nur ein, zwei kurze Fragen, okay?«
»Nein. Ich will meine Ruhe haben.«
»Schon klar«, sagte Frank. »Aber nur
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