Neue Zeit und Welt
sich nicht zu zügeln vermochte, stürzte sich auf den am Boden liegenden Vampir und schlug wild auf sein Gesicht ein. Aba hob keine Hand, um sich zu schützen. Bis er das Bewusstsein verlor, waren einige Zuschauer schon fortgegangen, um das Schauspiel nicht mehr mit ansehen zu müssen.
Jasmine hielt es nicht mehr aus. Sie lief in den Kreis, riss Ollie von dem ohnmächtigen Vampir weg und zischte angeekelt: »Hör auf! Das ist ja widerlich!«
Ollie fuhr herum, stürzte sich auf Jasmine – als könne er, einmal in Fahrt, nicht mehr aufhören –, stieß sie, Tränen in den Augen, zu Boden, schlug auf sie ein, riss den Verschluss von ihrem Hinterkopf-Ventil. Sie wehrte sich blindlings, fügte ihm an der Nase eine Platzwunde zu, riss ihm ungewollt den Rubin aus der Brusthaut, der vor so langer Zeit dort eingenäht worden war; der Edelstein lag im Staub und hinterließ an Ollies Brust eine klaffende, blutende Wunde. Er schlug aber nicht lange auf Jasmine ein – plötzlich sprang er auf und hetzte durch den Wald in Richtung Wüste.
Aus dem Ventil an Jasmines Hinterkopf rann Hämo-Öl, bis sie hinter sich greifen und es verschließen konnte. Dann saß sie da und versuchte ihre Fassung wieder zu finden. Endlich stand sie auf und ging zu Aba hinüber, der aufzustehen versuchte. Sie half ihm hoch. Auch Paula, endlich wieder zu sich gekommen, taumelte herbei. Die beiden Frauen stützten den blutenden Vampir und führten ihn zum Bach. Die Zuschauer zerstreuten sich zwischen den Bäumen, stumm und beschämt.
Fleur, Elspeth und Osi saßen in einem kleinen Raum unter dem summenden Kraftwerk. Sie sprachen im Flüsterton, obwohl sonst niemand in der Nähe war.
»Sie ist unberechenbar und unermesslich mächtig …«, begann Fleur.
»Nicht mehr den Idealen der Königin verhaftet, orong olo glia«, fügte Elspeth hinzu.
»… launenhaft, um nicht zu sagen, wahnsinnig. Elspeth hat gestern mit ihr gesprochen – sie kann nicht länger bei der Sache bleiben als eine Zweijährige. Und sie versuchte, im Inneren der Festung Regen zu erzeugen.«
Sie sahen einander stumm an. Hinter ihnen brummten riesige Maschinen mit blinkenden Lämpchen. Osi kam der absurde Gedanke, dass sie sich heimlich zublinzelten.
»Wir müssen sie töten«, sagte Fleur dumpf.
»Und eine neue Königin konstruieren?« fragte Osi.
»Wenn das geht. Aber zuerst müssen wir diese töten.«
Leichter gesagt als getan, dachte Osi. Sie ist uns allen überlegen; sie hat unsere Harems dezimiert, die Stadt in Brand gesteckt, unsere Träume in Alpträume verwandelt – und sie hat uns in ihrer Macht. Wir glauben, wir könnten zu dem zurückkehren, was gewesen ist, aber das geht nicht. Wir werden von den Wellen umhergeschleudert und hoffen nur noch, nicht am Strand zu zerschellen.
»Wir wären klug beraten, von hier fortzugehen wie die anderen«, sagte er. »In dieser Stadt werden wir nie mehr ein Machtfaktor sein.«
»Doch, doch«, sagte Elspeth heiser. »Aber wir müssen rasch handeln – und im Einklang. Nuliento gor!«
Osi nickte.
»Nun gut, ich helfe euch. Kommt heute Abend zu mir, damit wir alles Nähere besprechen können.« Bevor sie etwas erwidern konnten, war er aufgestanden und hinausgegangen.
Ich verbünde mich mit mutierten Maschinenmenschen gegen wahnsinnige Kinder – soweit ist es mit mir gekommen, dachte Osi. Blut meines Bluts, was ist aus uns geworden?
Als er durch die raucherfüllten Korridore zu seiner Wohnung zurückging, brütete er düster vor sich hin. Seine Einstellung der Kind-Königin gegenüber war vielschichtig – so vielschichtig, dass nicht einmal sein analytischer Verstand sie zu durchschauen vermochte. Auf der einen Seite war sie dabei, die Stadt zu zerstören, daran konnte man kaum zweifeln. Gebäude stürzten zusammen, die Tiere flohen oder verfielen in Raserei, schlimmer als beim Eis-Wahn. Und mit der allgemeinen Auflösung verflüchtigten sich seine, Osis, Träume von einer neuen Welt, wo alles seinen Platz hatte, der genau vorausbestimmt war, statt vom bloßen Zufall abzuhängen. Er ballte unwillkürlich die Fäuste, wenn er daran dachte, wie sein ganzes Werk zerstört wurde … er hasste die Kind-Königin.
Flammen loderten aus einer offenen Tür und versengten Härchen an seinem Arm. Er zuckte zurück. Der Boden unter ihm bebte unter den Erschütterungen einer fernen, dumpfen Explosion. Ja, er hasste sie.
Und trotzdem. Auf der anderen Seite fühlte er sich angezogen von ihr. Von ihrer Macht. Ihrem Wahnsinn? schoss es
Weitere Kostenlose Bücher