Neue Zeit und Welt
ihm durch den Kopf. In ihrer Gegenwart fühlte er sich schwindlig, schwankend, beinahe hilflos. In ihrer Abwesenheit empfand er Zorn und Enttäuschung. Erstaunlich, welch heftige Gefühle dieses kleine, neue Wesen hervorzurufen vermochte.
Er erreichte seine Suite und legte sich auf das Bett. Sein Kopf schmerzte. Er läutete die Kristallglocke am Bett, aber niemand erschien; die Hälfte seines Harems war fort. Davongelaufen, spurlos verschwunden. Die anderen kamen nur noch her, um einen Platz zum Schlafen zu haben – sonst streiften sie durch die Gänge, erforschten Bereiche der Festung, die ihnen früher versperrt gewesen waren.
Vera kam herein. Sie aß einen Apfel.
»Habt Ihr gerufen?« fragte sie gereizt. Sie war seine engste Vertraute unter den Menschen, und sogar sie benahm sich höchst merkwürdig.
»Du hast dir ja Zeit gelassen«, fauchte Osi. »Her mit deinem Hals!«
Vera zögerte.
»Sag zuerst, dass du mich liebst.«
Osi brüllte auf, sprang hoch und drückte sie an die Wand. Sie ächzte und verlor das Bewusstsein, als der Vampir ihr den Kopf an den Haaren nach hinten riss und die Zähne in ihren Hals schlug.
Als Osi sich gesättigt hatte, ließ er die Ohnmächtige zu Boden fallen und eilte in sein Arbeitszimmer. Auf der Staffelei befand sich eine neue Leinwand, davor lagen Farben, ungeöffnet. Osi zwang sich zur Ruhe und begann mit bedächtigem, kräftigem Strich zu malen.
Vielleicht sollte ich doch fortgehen, dachte er, ein paar meiner besten Leute mitnehmen und im Dschungel eine schöne, stille Höhle finden, um dort zu leben. Die Grenzen des Erträglichen waren hier bei weitem überschritten. Und doch gab es etwas, das ihn festbannte. Er würde doch noch bleiben – wenigstens eine Weile.
Wütend warf er den Pinsel hin und verließ das Zimmer.
»Vera …«, sagte er mit weicher Stimme, um sich zu entschuldigen.
Vera war fort.
Er presste die Lippen zusammen und machte sich auf den Weg zu den Haremsräumen.
Ugo kratzte sich an der glänzenden Gesichtsnarbe.
»Und Ihr? Was wollt Ihr tun?«
»Ich bleibe«, sagte Ninjus barsch. »In dem Kind verkörpert sich Macht. Dort ist sie zu Hause, und, beim Pulsar, ich werde dort hausen!«
Ugo lächelte.
»Ein gefährliches Quartier, meint Ihr nicht?«
»Geht, wenn Ihr dem nicht gewachsen seid«, fuhr ihn Ninjus an. »Ich kann keine Schwächlinge brauchen.«
Ugo fauchte erbost, beruhigte sich aber rasch wieder.
»Gegen das Kind werden bereits Komplotte geschmiedet. Die Kind-Königin wird dankbar sein denen, die ihr beistehen und Anschläge vereiteln.«
Ninjus lächelte.
»Sie wird dankbar sein, und wir können auf reiche Belohnung hoffen. Sie reißt jetzt nieder, um später wieder aufzubauen. Ich werde dabei sein, wenn sie das Fundament errichtet, und den Eckstein setzen.«
»Und ich, um jedem Wicht das Lebenslicht auszublasen, der sie aufhalten will!« Auf Ugos Lippen trat Speichel; er war erregt von den Gedanken an neues Blut und grausigen Tod.
»So ist es richtig«, knurrte Ninjus. »Wir werden die Oberhand behalten.«
Die beiden Verbündeten rückten näher aneinander heran und begannen Pläne für die Verteidigung des Kindes zu entwerfen.
Josh, Beauty und Isis betraten zögernden Schritts das Gemach der Königin. Die Katze hob den Kopf, lief auf den Thron zu und sprang zu dem Kind hinauf. Die beiden anderen näherten sich gemessener.
»Wer bist du?« Die Kind-Königin sah Beauty an.
»Das ist mein engster Freund Beauty von den Zentauren«, erwiderte Josh.
»Dann sei willkommen.« Die Kind-Königin nickte. Sie sah noch fast genauso aus wie am Vortag; nur waren die Federn an der Rückseite ihrer Arme länger geworden, und den Greifschwanz hatte sie um das linke Bein gewickelt. Außerdem bediente sie sich nur der gesprochenen Sprache, nicht der Telepathie.
Beauty entblößte den Hals.
»Wir sind gekommen, weil …«, begann Josh.
»Ich weiß, weshalb ihr gekommen seid.« Die Kind-Königin sträubte abwehrend die Federn am Kopf. »Ihr seid gekommen, weil ihr Angst habt. Ihr wollt über das Wetter in der gestrigen Nacht sprechen. Warum reden die Leute von nichts anderem? Und was hast du da mitgebracht?«
Josh stellte die Flasche mit den Bechern aus seinem Beutel hin.
»Das ist Wein. Ein altes Ritual der Schreiber – eigentlich ein menschliches –, dass Freunde zusammen trinken.«
»Wir sind noch keine Freunde.«
»Nein«, sagte Beauty. »Freunde müssen Gleiche sein. Du bedrohst uns zu stark, um unsere Freundin zu
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