Neue Zeit und Welt
dickem Eisen, der tief im Boden steckte.
»Das muss einmal ein Kopfbahnhof oder Lokschuppen gewesen sein«, meinte sie.
»Was ist denn das?« fragte Ollie. Wieder eine von Jasmines Weisheiten aus einer anderen Zeit.
»Eine Eisenbahnlinie, das war eine Eisenbahn«, sagte sie geistesabwesend. Rundum sprühten Funken.
Wieder ertönte ein Schrei, hinter einer schweren, steil aufgekippten Lokomotive. Sie liefen mit gezückten Dolchen um die Maschine herum und blieben wie angewurzelt stehen. Die Pegasus-Stute stand vor ihnen und flatterte hilflos mit den Flügeln. Von hinten hatte sie ein Nachtmahr bestiegen.
Das war ein Riesenpferd – gut zweimal so groß wie das Pegasusweibchen –, schwarz wie der Tod, mit rotglühenden Augen und einem gezackten Fleischfressergebiss. Die Hufe waren dornenbewehrt, der Schwanz trug Stacheln. Es atmete wie ein Drache bakterielles Methangas aus. Sobald es mit den kieselhaltigen Zähnen knirschte, loderte das Gas in blauen Flammen hoch. Es war ein erschreckendes Untier, das die Stute vergewaltigte.
Seine enorme Größe drückte sie in den Vorderbeinen nieder, als der Nachtmahr sie bestieg und seine Röhrenröte zwischen ihren Hinterbeinen unter dem Schweif hineinstieß. Blitze zuckten und tanzten, die irren Augen des Nachtmahrs flackerten in karminrotem Brand.
Das Pegasusweibchen blähte die Nüstern, es hatte Schaum vor dem Mund, die Augen rollten wild in alle Richtungen.
»Naah!« kreischte sie. »Naaaaah!« Und der Wind kreischte mit ihr um die Wette.
Ihre breite Brust hob und senkte sich rasch vor Erschöpfung und Entsetzen, sie flatterte wieder mit den Flügeln, aber es war nutzlos; der Regen hatte sie völlig durchtränkt. Sie schrie wieder auf, als der nächste Blitz durch die wild verbogen in die Luft ragenden Schienen fuhr.
»Naaaah!«
Der Nachtmahr hämmerte sich brutal in sie hinein, brüllte seine Geilheit hinaus, knirschte mit dem Gebiss und blies aus der Kehle loderndes Gas, von dem die Mähne der Stute versengt wurde. Ihre Zunge hing am Mundwinkel heraus, ihr schöner Kopf sackte herab. Der Nachtmahr schlug die scharfen, sabbernden Zähne in ihren Halsansatz am Schulterblatt. Der Regen wurde zum Wolkenbruch.
Dies alles war ein langer Augenblick. Im nächsten flog Ollie durch die Luft, im übernächsten saß er auf dem Rücken des Ungetüms, die linke Hand in die wehende Mähne gekrallt, in der Rechten den Dolch, den er bis zum Heft in das rechte Auge der Bestie stieß.
Der Nachtmahr kreischte und bäumte sich auf. Ollie stieß noch einmal zu, durch das Auge ins Gehirn. Das Untier brüllte lauter als der Donner, stürzte nach hinten um und zerquetschte Ollie beinahe. Er sprang aber noch rechtzeitig ab – nur, um von dem Mantikor angegriffen zu werden, den sie vorher gesehen hatten.
Ollie rang mit dem Wesen – der Mantikor war aus dem Führerstand einer Lokomotive gesprungen –, wälzte sich im Schlamm, wurde zerkratzt und getreten, bis Jasmine ihm beisprang und dem Mantikor blitzschnell die Kehle aufschlitzte.
Er rollte von Ollie herunter und starrte Jasmine sekundenlang an. Sein Kopf war ein menschlicher, mit mehreren Reihen haifischartiger Zähne; die Augen schielten. Er versuchte zu sprechen, aber nur ein Gurgeln wurde hörbar.
Mühsam kroch er zum riesigen Leib des toten Nachtmahrs, die Hinterbeine hinter sich herziehend. Als er den Kopf des Pferdes erreichte, leckte und küsste er das blutüberströmte Gesicht ein paar Mal, wimmerte und starb. Offenbar waren sie Freunde gewesen.
Jasmine und Ollie gingen zu der Stute, die zitternd im Schlamm lag. Sie zuckte zurück und wieherte verzweifelt, als sie ihre Wunden untersuchen wollten, aber sie beruhigten sie mit Streicheln und sanften Worten und pflegten sie die Nacht über. Vor allem Jasmine vermochte das Pegasusweibchen zu beruhigen; sie konnte mit Pferden umgehen.
Ollie ruhte sich auf dem alten Rangierbahnhof aus, während der Sturm langsam abzog. Er war geschunden und am ganzen Körper wund, aber nicht ernsthaft verletzt.
Am Morgen herrschte klarer Himmel. Der Pegasus-Stute schien es viel besser zu gehen. Sie flog rasch fort und kam bald zurück. Sie bediente sich keiner der Sprachen, die Jasmine kannte, aber auf irgendeine Weise verständigten sie sich. Jasmine und Ollie kletterten auf ihren Rücken, und sie flog sie den Rest des Weges nach Süden. An der Bergkette über den Dschungelhöhlen, die Jasmine suchte – den Höhlenverstecken –, wurden sie abgesetzt.
Sie entblößten die Hälse und
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