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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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winkten zum Abschied. Das Pegasusweibchen flog nach Westen, der nebelhaften Traurigkeit und Freiheit ihrer eigenen Zukunft entgegen. Jasmine und Ollie wandten sich nach Osten und stiegen in den Wolkenstreifen zu Dundees Terrarium hinab – den dunklen Höhlengängen ihrer Vergangenheit entgegen.
     
    Jasmine saß in der Hocke und starrte in die Asche des längst erloschenen Feuers. Fünf Jahre war es alt. Die zerschrundeten Wände der Höhle hatten die dazwischenliegende Zeit aufgesaugt wie ein Vakuum und die künstlichen Gebilde praktisch unberührt und ungealtert hinterlassen.
    Leere Konservendosen, getrocknetes Gilafleisch, noch essbar, Kerzen, Zündsteine, drei mit Spinnweben bedeckte Flaschen Wein, ein paar ausgebleichte Wolldecken, mancherlei Werkzeug. Planzeichnungen. Die zerfetzten, vergilbten Pläne für das Kanalisationssystem, das sich als Tunnellabyrinth unter der Stadt ohne Namen dahinzog. Die Pläne, mit deren Hilfe Jasmine und Josh aus der Stadt entkommen waren und die Jasmine in dieser Höhle versteckt hatte.
    Dies war die Höhle am oberen Fluss, wo sie damals alle zusammengetroffen waren – Jasmine, Josh, Beauty, Ollie, die Waisen aus Bals Harem, der Flatterling. Sich versteckt hatten, Tage, die zu Wochen wurden, bis sie sich soweit erholt hatten, dass sie auseinander gehen und ihr altes Leben wiederaufnehmen, ihre getrennten, verschiedenen Wege gehen konnten.
    Ollie saß am Quellbach, der quer durch eine Höhlenecke verlief, und sah Jasmine in die Asche ihrer Erinnerung starren. Er hatte hier seine eigenen dunklen Bindungen. Als er das letzte Mal an diesem Bach gesessen hatte, war er zehn Jahre alt gewesen und in Katatonie. Er hatte seine Eltern von Mutanten ermordet gesehen, seine Base von Vampiren geschändet. Er war entführt und in den Harem eines Vampirs namens Bai gebracht worden, der in seinen zerbrechlichen Kinderkörper Edelsteine eingenäht hatte. Seine Haut war jetzt zernarbt und wettergegerbt. Er betastete den Rubin in seiner Brusthaut: Memento mori.
    Jasmine faltete die spröd-brüchigen Pläne im Licht der Kerzen. Wie vertraut. Alle Schächte bezeichnet nach den Räumen an der Oberfläche, zu denen sie führten. Labors, Büros, Wohnungen. Letzte Dekontamination. Vereinigung. Nirwana. Gemächer der Königin. Ihr Inneres erbebte unter der gleichen erregten Furcht, die sie vor fünf Jahren verspürt hatte, während sie die Pläne durchging, um Angriffs- und Fluchtweg zu erkunden. Jasmine war ein Neurowesen, das seine Leidenschaften genoss – für sie waren das alles schöpferische Spannungen, und sie fand Geschmack an ihnen, ohne Rücksicht darauf, ob sie Lust, Furcht, Wut oder Zärtlichkeit entsprangen. Für sie waren das Farben im Spektrum des Lebens.
    Sie ging erneut jeden Quadratzentimeter der Pläne durch und zog die Erinnerung zu Rate.
    Von Tunnel 22 keine Spur.
    »Keine Bewegung, ihr seid umzingelt!« Die fremde Stimme brach aus dem Schatten wie eine Raubkatze.
    Jasmine und Ollie erstarrten, die Augen weit aufgerissen.
    Ein kleiner, flacher Gegenstand flog durch das Dunkel, genau auf Jasmines Hals zu. Sie warf sich zu Boden, und das Ding klatschte hinter ihr an das Gestein. Sie hob den Kopf danach, um zu entscheiden, ob sie es packen oder fliehen sollte. Es war ein Buch.
    »Lesen!« schrie die Stimme im Dunkel. Jasmine hätte vor Erleichterung am liebsten gelacht, aber die Stimme klang nach wie vor tödlich.
    Sie griff langsam nach dem Band, schlug ihn auf und las im Kerzenlicht laut vor.
    »Es waren die besten Zeiten. Es waren die schlimmsten Zeiten …«
    »Das genügt!« fauchte die unsichtbare Stimme ein wenig gefasster. »Wirf es deinem Freund dort am Wasser zu.«
    Sie warf das Buch zu Ollie hinüber, der es mit einer Hand auffing, die andere noch am Stilett in seinem Gürtel.
    »Die letzte Seite!« befahl eine andere Stimme aus einem anderen Schatten.
    Ollie schlug die letzte Seite auf. Er hatte seit dem Eintreten in die Höhle noch nicht wieder sprechen können, aber im Buch fand er seine Worte.
    »Was ich tue, ist viel, viel besser als alles, was ich je getan. Es ist viel …«
    »Genug, genug, mir hängt die Zeile so zum Hals heraus, dass ich kotzen könnte«, rief eine dritte Stimme. »Wie ist das Wort?«
    Ollie erwiderte laut: »Das Wort ist eins.« Es war die Parole aller Schreiber seit Anbeginn der Zeit, seit dem Ersten Wort. Und obwohl Ollie sich nicht als Schreiber betrachtete, kannte er sich doch mit ihren Gepflogenheiten aus.
    Und plötzlich flammten in der

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