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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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Erde, die Höhlen grollten, namenlose Ängste raschelten, dann kam alles wieder zum Stillstand.
    »Sehr interessant«, meinte Jasmine nachdenklich. »Eine ganze Stadt von Speläologen.«
    »Was sind Speläologen?« fragte Paula argwöhnisch.
    »Das ist ein altes Wort für Höhlenforscher – du weiß schon, das Erkunden von unterirdischen Gängen, wie ihr es macht.«
    Paulas Augen leuchteten auf.
    »Ein neues Wort, meinst du? Ein echtes Wort?«
    »Es ist schon ziemlich alt, aber echt wird es wohl sein.«
    »Kommt lieber mit«, sagte Paula. Sie führte sie über ein langes, weitgeschwungenes Gesims zu einer Öffnung im Dach der Nachbarhöhle. Sie traten in ein dreißig Meter hohes Gewölbe.
    Decke und Boden waren verbunden durch Dutzende langer Stalaktiten und Stalagmiten, die sich berührten. Paula führte die beiden auf unebenem Boden durch eine Folge gewundener Korridore, die in einer langen Steigung ausliefen. Dies war eine Sackgasse, und die drei mussten an einem Seil durch ein enges Loch hinunterklettern, bevor sie endlich eine Etage tiefer in einen großen Raum voller Leute gelangten.
    Dutzende von Menschen saßen über lange Tische gebeugt und schrieben. Paula führte Jasmine und Ollie an ihnen vorbei in die hinterste Ecke, wo die alte Addie tief in Gedanken vor einem Stapel dichtbeschriebener Blätter saß.
    »Addie«, sagte Paula leise.
    Die alte Frau wirkte einen kurzen Augenblick verwirrt, dann hob sie den Kopf und lächelte.
    »Oh«, murmelte sie, »einen kleinen, schönen Augenblick lang dachte ich, die Seite ruft mich. Aber seid trotzdem willkommen.«
    Paula lächelte die alte Schreibmeisterin an.
    »Addie, ich glaube, Jasmine weiß ein neues Wort. Speläologe. Das bedeutet ›Höhlenforscher‹«, sagte sie.
    Addie schloss die Augen, um sich zu konzentrieren und ihr Gedächtnis zu erforschen.
    »Ja«, sagte sie. »Ich glaube, ich kann mich dunkel entsinnen. Das muss richtig sein.« Sie öffnete die Augen und grinste. »Ein neuentdecktes Wort! Wie aufregend!«
    Paula freute sich.
    »Wir registrieren es sofort.« Sie war im Grunde gar nicht so wild darauf, alte, ausgefallene Wörter auszugraben, aber Jasmine gefiel ihr, und sie fand es gut, dass die Neurofrau eine lexophile Ader hatte.
    Sie schrieb das Wort und seine Bedeutung auf und gab das Blatt einem der Archivare.
    Ollie war unwillkürlich ein bisschen eifersüchtig.
    »Von Spelunken versteht Jasmine ja allerhand«, spaßte er.
    Jasmine lachte und legte den Arm um die Schulter des Jungen.
    »Ich dachte, die Schriftkunst bedeutet dir nichts.«
    »Stimmt.« Er unterdrückte ein Lächeln. »Und das neue Wort gefällt mir auch nicht sonderlich.«
    »Mir auch nicht, wenn ich ehrlich sein soll«, gab Paula zu.
    »Hört sich irgendwie unanständig an. Aber Wort ist eben Wort. Nur sehr dichterisch klingt es nicht.«
    Sie hatten sich wieder auf den Weg gemacht und folgten den weit verzweigten Tunnels.
    »›Ein Speläologe aus Winsen aß mit der größten Lust Linsen …‹«, improvisierte Jasmine.
    »Was ist denn das?« fragte Paula überrascht.
    »Aus einem alten Gedicht, das ich eben gefunden habe«, erwiderte die Neurofrau lächelnd.
    Sie erreichten eine Felskante über einem großen unterirdischen See, achtzig Meter tief unter ihnen; sie setzten sich hin und ließen die Füße über den Abgrund baumeln. Schwimmende Kerzen bewegten sich auf dem Wasser kaum und warfen tanzende Lichter auf die stille Oberfläche; Punkte atmenden Lichts.
    »Das ist eine meiner Aufgaben«, sagte Paula. »Dafür zu sorgen, dass die Kerzen immer brennen.« Sie mochte diese beiden Menschen, war aber noch nicht sicher, wieweit sie ihnen trauen konnte, deshalb begann sie mit kleinen Vertraulichkeiten, was ihre Pflichten anging, oder wo man besonders schöne Höhlen finden konnte. Mit der Zeit wollte sie von ihren Kenntnissen über Joshua mehr preisgeben – dass sie gesehen hatte, wie heroisch er in Ma’Gas’ die Meerjungfrau gerettet, und wie traurig er ihr erschienen war, wie die Verkörperung eines Gedichts über die menschliche Rasse. Aber sie würden von sich selbst ein wenig mehr offenbaren müssen, bevor sie sich ihnen so weit öffnete.
    »Welchen Zweck haben die Kerzen?« fragte Ollie. Sie sahen wunderbar aus, wie funkelnde Sterne an einem auf den Kopf gestellten Himmel.
    »Nur den, einen schönen Anblick zu bieten«, antwortete Paula. »In unserem Leben ist so wenig Schönes … und Schönheit ist Wahrheit, steht geschrieben …« Ihre Stimme verklang. Die Weite

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