Neues Glück für Gisela
Ryssel. Ich bin…“
„Ach so, die neue Lehrerin von der Realschule in Hoyfoss. Ich habe schon von Ihnen gehört.“
Gisela fand keine Worte. Sie blickte nur in sein lächelndes Gesicht.
„Ich… ahnte natürlich nicht… dachte nicht…“
„Nein, das verstehe ich schon. Und Sie sahen so böse aus, draußen auf dem Hof, daß ich dachte, ich muß der Löwin in mehr respekteinflößender Umgebung begegnen, also in diesem feierlichen Büro. Sie müssen übrigens meinen Anzug entschuldigen. Ich hatte keine Zeit, mich umzuziehen, wenn ich rechtzeitig meinen Platz einnehmen wollte. Ich heiße übrigens Stranden. Ja, nun müssen Sie also Ihren Spruch aufsagen, Fräulein Ryssel. Ich bin auf das Schlimmste gefaßt. Haben meine Jungen auf der Schule einen Skandal verursacht, irgend etwas ausgefressen? Wollen Sie sich beschweren?“
„Aber nein…“, flüsterte Gisela.
„Ach richtig, das ist ja wahr, auf mich sind Sie böse, nicht auf die Buben. Also fahren Sie nur Ihr Geschütz auf und schießen Sie los. Was habe ich denn verbrochen?“
Gisela war noch nie im Leben so verwirrt. Fräulein Ryssel, in einem teuren Schneiderkostüm, mit Vermögen und einem bekannten Namen als Hintergrund, fühlte sich unsicher und hilflos gegenüber diesem jungen Mann in kurzen Hosen und zerknülltem Hemd, einem jungen Mann, der der Verwalter dieser Jungenschar war, der verantwortliche Leiter des Heims und der nun lächelnd hinter dem mitgenommenen Schreibtisch saß in diesem kleinen, schäbigen Büro.
„Ich… ich war gestern so enttäuscht, weil Rolf nicht ins Kino gekommen ist. Ich hatte mich so darauf gefreut, ihm ein Vergnügen zu bereiten. Ich habe den Jungen gern.“
„Ich habe ihn auch gern“, sagte Stranden ruhig.
„Und er hat sicher nicht so viele Vergnügungen…“
„Nein, da haben Sie recht.“
„Und da haben Sie ihm Stubenarrest gegeben, gerade an dem Tag, wo er ins Kino gehen sollte – ich stand und wartete vor dem Kino, über eine halbe Stunde und war so schrecklich enttäuscht.“
Es war etwas Enttäuschtes, Kleinmädchenhaftes in Giselas Stimme. Stranden nahm ein Lineal auf und spielte damit.
„Es tut mir leid, daß Sie vergebens gewartet haben. Also, Sie finden, daß ich boshaft war?“
„Ja, das finde ich. Denn niemand kann mich glauben machen, daß Rolf etwas so Schlimmes getan hat, um eine so – so raffiniert boshafte Strafe zu verdienen.“
Jetzt stieg der Zorn wieder in ihr hoch, und sie schaute den Heimleiter mit herausfordernden Blicken an.
Er sah sie einen Augenblick an, sein Mund lächelte, aber seine Augen waren ernst.
„Ich glaube, es ist am besten, Rolf erzählt selbst davon“, sagte er, stand auf und öffnete die Tür.
„Hallo, Gunnar“, rief er, „kannst du Rolf irgendwo zu fassen kriegen? Ich glaube, er ist unten in der Werkstatt.“
„Jawohl“, antwortete eine helle Knabenstimme. Rasche Laufschritte im Korridor, dann wurde es still. Stranden sagte nichts, er saß bloß ruhig hinter seinem Tisch, spielte mit dem Lineal und hatte die Augen auf Gisela gerichtet.
Dann hörte man die ungleichen Schritte Rolfs. Er ging rasch und riß dann die Tür auf.
„Du, Willi, jetzt habe ich es hingekriegt. Ich höre ganz fein damit. Aber ich müßte eben ein neues Kristall haben, denn das alte ist…“ Er brach ab, denn nun erst entdeckte er Gisela. Er verbeugte sich höflich.
„Hör mal, Rolf, da ist etwas, das du Fräulein Ryssel erklären mußt. Erzähl mal, warum du gestern nicht ins Kino gekommen bist.“
„Kino? Nun, weil ich Stubenarrest hatte. Aber hör nun, Willi…“ Rolf stellte ein kleines Kästchen auf den Tisch. Gisela hatte schon mal was Ähnliches gesehen. Es war bei einem Großaufräumen zu Hause bei den Eltern aufgetaucht. Papa hatte es lächelnd angesehen und erklärt, es sei ein Rundfunkempfänger, wie alle Jungen in seiner Kindheit sie gebastelt hatten. Das war in den zwanziger Jahren, als der Rundfunk ganz neu war. Papa hatte das Ding als zwölfjähriger Junge gebaut.
Jetzt schloß Rolf einen altmodischen Kopfhörer an, drehte die Hälfte des Hörers um, so daß er selbst auch hören konnte, wenn Willi Stranden den Bügel aufsetzte. Rolf legte seinen Kopf dicht an den des Heimleiters.
Seine flinken, behutsamen Finger stellten ein, und dann lauschte er.
„Nicht wahr? Man hört wirklich gut. Nun werde ich den bei meinem Bett anbringen. Dann kann ich Radio hören, soviel ich will, ohne die anderen zu stören. Es war prima von dir, mir den Kopfhörer zu
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