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Neues Glück für Gisela

Neues Glück für Gisela

Titel: Neues Glück für Gisela Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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Haut.
    „Sehen Sie“, sagte Willi Stranden, mit einer neuen ernsthaften Stimme, „Sie haben sicher ein sehr weiches Herz für Kinder, und der Begriff Waisenhauskind tut Ihrem Herzen weh, stimmt’s?“
    „Ja“, flüsterte Gisela.
    „Und diese Weichheit geht ab und zu ins Uferlose, stimmt das auch?“ Sie errötete.
    „Wie meinen Sie das?“
    „Erlauben Sie, daß ich mich etwas rücksichtslos ausdrücke? Danke. Also, kommt es nicht vor, daß diese Weichheit manchmal beinahe in Sentimentalität ausartet?“
    Die Röte in ihren Wangen wurde noch tiefer.
    „Wenn Sie dies vor einer Stunde gesagt hätten, würde ich protestiert haben. Aber nun… nun weiß ich nicht. Alles ist so ganz anders als ich es mir vorgestellt habe. Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß ich eine so fröhliche Bude hier vorfinden würde. Wenn ich sehe, wie Sie die Jungen behandeln und… und…“
    „… und wie gute Freunde wir sind?“ lächelte Willi Stranden.
    „Ja. Wie Sie das alles erreicht haben, was ich nie erreiche, das Zutrauen der Jungen zu gewinnen.“
    Es entstand eine kleine Pause.
    „Vielleicht“, sagte Willi Stranden, „vielleicht könnte ich es Ihnen bei Gelegenheit mal erklären.“
    „Warum nicht jetzt?“
    „Weil ich Sie dazu noch nicht gut genug kenne.“ Gisela lächelte.
    „Es scheint mir aber, daß Sie sich bereits eine Meinung über mich gebildet haben.“
    „Gewissermaßen ja. Durch das, was ich von Rolf gehört habe.“
    „Erzählt Rolf viel aus der Schule?“
    „Nicht viel, aber etwas erzählt er schon. Ich weiß zum Beispiel, daß Sie ihn im Zug getroffen haben, als er vom Beerenpflücken kam. Daß Sie ihm ein paar Zeitschriften und Schokolade gegeben haben und daß Sie überströmend liebenswürdig zu ihm sind.“
    Eine dunkle Röte schoß in Giselas Wangen.
    „Erzählte er auch, daß er ,nein danke’ zur Schokolade gesagt hat, als ich sie ihm zum zweiten Male anbot?“ Willi Stranden lächelte.
    „Nein, das erzählte er nicht, aber ich glaube es gern. Das sieht Rolf ähnlich. Er will nämlich nichts von Mitleid wissen.“
    „Nein, das ist mir langsam aufgegangen. Deshalb habe ich ja die ganze Klasse ins Kino eingeladen, um Rolf eine Freude zu machen.“
    „Donnerwetter, das war wirklich Pech!“ sagte Willi Stranden. Er schaute Gisela an, nachdenklich, abschätzend. Dann wechselte plötzlich sein Ausdruck, es kam etwas Lebhafteres, Unternehmungslustigeres über ihn.
    „Haben Sie Lust, unser Heim zu besichtigen? Da Sie nun einmal hier sind? Und nachdem Sie offenbar niemals so ein Kinderheimmilieu gesehen haben?“
    „Schrecklich gern“, sagte Gisela.
    Dann erlebte sie eine Stunde mit mehr neuen Eindrücken, als sie sonst im Laufe von Monaten und Jahren empfing.
    Die kahlen, kärglich eingerichteten Zimmer, der weißgekalkte Speiseraum mit dem Wachstuch und den emaillierten Tellern, die altmodische, unpraktische Küche, die Schlafsäle in all ihrer Nüchternheit, der Aufenthaltsraum mit den häßlichen zerschlissenen Vorhängen, ohne Blumen, ohne Teppich, das machte alles einen tiefen, tiefen Eindruck auf sie, gerade auf sie, die in harmonischer und geschmackvoller Umgebung aufgewachsen war, ja, mehr als das, in Luxus und Kunstverständnis.
    Zum Schluß ging sie mit in die Werkstatt im Keller.
    „Das ist unser Lieblingskind“, erklärte Stranden. „Wie Sie sich denken können, haben wir es finanziell mehr als schwierig hier, aber diese Werkstatt muß einfach erhalten bleiben. Wir geizen und sparen auf jede Weise, um das nötigste Material und die Werkzeuge beschaffen zu können. Hier können sich die Buben entfalten, wissen Sie. Hier sind im Laufe der Jahre viele Dinge entstanden, von ungeschickten, selbstgeschnitzten Spielzeugbooten bis zu brauchbaren netten Radiogeräten. Und die Jungen betrachten es als eine Ehrensache, diesen Raum in Ordnung zu halten und aufzupassen, daß die Sachen gut behandelt werden.“
    „Das andere Lieblingskind ist sicher der Sportplatz da draußen?“ fragte Gisela.
    „Stimmt. Und dann noch der Küchengarten und Obstgarten. Vor ein paar Jahren, als die Preise anfingen, so gefährlich zu steigen, da hatte ich eine ernsthafte Unterredung mit den Jungen. Ich erklärte ihnen die Sachlage und fragte sie um ihre Meinung. Ob wir Staatsunterstützung oder kommunale Hilfe beantragen sollten, oder ob wir lieber versuchen sollten, mit unseren eigenen Kräften eine Ernährungsautarkie zu schaffen. Die Buben meinten einstimmig, daß wir versuchen sollten, uns selbst

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