Neues Glück für Gisela
geben.“
Gisela schaute auf die beiden Gesichter. Das magere, kleine Gesicht Rolfs, mit Augen, die vor Freude und Zutrauen leuchteten. Und das ruhige, sonnenverbrannte junge Gesicht von Willi Stranden.
„Aber hör nun, Rolf, jetzt mußt du Fräulein Ryssel die ganze Geschichte erzählen.“
„Wovon denn?“
„Von dem Stubenarrest, du Dummerle.“
„Ach das! Na also, ich war mit dem Boot draußen, und da…“
„Pst! Bitte von Anfang an. Weißt du, ich komme nämlich in den Ruf, ein Despot zu sein, ein Tyrann, weil…“
„Du ein Tyrann? Jetzt mach aber einen Punkt.“
„Also erzähle mal im Zusammenhang.“
Jetzt blickte Rolf Gisela ernsthaft an.
„Also, zwei der Jungen waren vorige Woche mit dem Boot draußen auf dem Teich. Das Boot war leck, und wir durften es nicht benutzen. Willi sagte, es ist verboten, weil wir sonst absaufen könnten. Und er sagte, daß der, welcher das Boot nochmals gebraucht, Stubenarrest bekommen würde. Und er fragte, ob wir uns darüber einig wären. Und wir sagten ja. Das war also abgemacht. Und, und… ich war vorgestern draußen, und da war es doch klar, daß ich gestern Stubenarrest dafür haben mußte. Ja, das ist alles.“
„Findest du, daß ich hätte Gnade für Recht ergehen lassen sollen?“
„Bist du verrückt? Man muß doch halten, was man gelobt hat. Übrigens wußtest du ja gar nicht, daß ich ins Kino eingeladen war.“
„Sie wußten es gar nicht?“ entfuhr es Gisela.
„Nein, ich habe es erst nachher gehört. Rolf wollte es wohl nicht schwierig für mich machen, glaube ich. Ich befürchte auch, ich wäre schwach geworden, wenn…“
„Das hätte gerade gefehlt“, sagte Rolf. „Ein Wort ist ein Wort. Es war ja scheußliches Pech, daß es sich gerade so getroffen hat, aber… du, Willi, kann ich etwas von dem Kupferdraht nehmen, der in der Werkzeugkiste liegt?“
„Ja, aber miß zuerst ganz genau aus, daß du nicht zuviel nimmst…“
„Fein. Kann ich jetzt gehen oder war sonst noch was?“
„Nein, hau ab. Aber verursache keine Explosionen im Keller mit deiner Bastelei da unten.“
„Von wegen Explosionen“, lächelte Rolf. Er sagte höflich auf Wiedersehen zu Gisela und humpelte hinaus mit seinem Radiogerät, froh und stolz. Er brannte darauf, neue Aufgaben anzupacken.
Die beiden blieben sitzen und sahen sich an. Willi Stranden lächelte.
„Tja, das war’s, Fräulein Ryssel.“
„Ja“, flüsterte Gisela. „Das war’s.“ Jetzt war die Sache ja erledigt, allerdings mit einem anderen Ergebnis als erwartet, aber sie hatte nicht die geringste Lust zu gehen. Sie brannte darauf, mit diesem Mann näher bekannt zu werden und mit dem Ton in diesem merkwürdigen Knabenheim.
„Sie… sind sicher sehr beliebt bei den Buben?“
„Doch, das bin ich, glücklicherweise. Wir sind richtig gute Kameraden. Das ist auch nötig, verstehen Sie? Wir haben es in vieler Beziehung so schwierig hier, daß wir genötigt sind, auf Biegen und Brechen zueinanderzustehen.“
„Sie meinen finanziell schwierig?“
„Genau das. Das Heim hier existiert hauptsächlich durch Legate, eine testamentarische Gabe, aber das Geld hat ja unleugbar an Wert verloren seit der Zeit, als das Testament errichtet und das Legat gestiftet wurde. Es macht uns also viel Kopfzerbrechen, einigermaßen durchzukommen.“
„Wir – meinen Sie damit die Verwaltung, oder wie das nun heißt, oder meinen Sie sich selbst und die Buben?“
„Ich meine uns hier im Heim. Die Jungen und die Bedienung und mich.“
„Ja“, sagte Gisela zögernd, „ich verstehe, daß es nicht leicht ist. Ich…“ Sie begegnete wieder seinem Blick, er war ruhig und voller Verständnis. Mit einemmal fühlte Gisela, daß sie sich mit diesem Menschen aussprechen konnte.
Er würde sie anhören und verstehen.
„Ich… habe Rolf beinahe liebgewonnen.“
„Ich auch“, sagte Willi Stranden ruhig.
„Er tut mir so leid“, fuhr Gisela fort, „wegen seines Körperfehlers… und der geflickten Kleider und…“
„… der gestopften Jacke, der spartanischen Frühstücksbrote“, vollendete Willi Stranden. Seine Augen maßen sie, nahmen ihre ganze Gestalt in seinem Blick auf. Ihre tadellose Kleidung, die einfache, aber handgenähte Seidenbluse, die unter der Jacke hervorsah, die kleine, bescheidene Nadel am Hals. Klein und bescheiden, aber sie war pures Gold, und die Perle war echt. Die Handtasche aus feinem Leder. Das Haar glänzte und verriet kostspielige Pflege, ebenso wie die klare, wohlgepflegte
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