Neues Glück für Gisela
zu helfen. Also haben wir’s gepackt. Wir sind Selbstversorger, was Gemüse betrifft, und haben reichlich Obst und Beeren. Wir halten Schweine, und einige Jungen haben Kaninchen. Darin ist übrigens Ihr Freund Rolf ein Anführer. Es ist heute etwas spät geworden, aber wenn Sie das nächste Mal kommen, müssen Sie sich seine Kaninchen anschauen. Er verkauft die Felle, und das Fleisch essen wir sonntags mittags den ganzen Herbst über.“
Gisela hörte zu, sie starrte mit offenen Augen und offenem Mund. Das ganze Bild, das sie sich vom Knabenheim gebildet hatte, war verschoben, die Wirklichkeit war so völlig anders.
Gisela hatte ungeheuer viel zum Nachdenken bekommen. Während die Lehrerin das Heim besichtigte, umstand auf dem Hof eine Gruppe von Buben Giselas Rad und betrachtete es mit Sachkenntnis. „Donnerwetter, ja, das ist mal ein Rad…“
„Mensch, da ist sogar Schaltung dran, guck mal.“
„Hat ‘ne schöne Stange Geld gekostet, möchte ich wetten.“
„Die watet wohl im Gelde, deine Lehrerin, Rolf?“
„Was will sie denn eigentlich hier? Sich über dich beklagen?“ Die Augen der Jungen richteten sich auf Rolf. „Was weiß ich? Und sie wird wohl ein pfundiges Rad haben dürfen, ohne dich um Erlaubnis zu fragen.“
Es wurde Rolf gar nicht bewußt, daß er sich mit einem Male in Abwehrstellung begeben hatte. „Sie hat Geld wie Heu“, sagte Gunnar, der auch auf die Realschule ging. „Und was die für elegante Kleider hat! Junge, Junge, und lange Stiefel hat sie, die reichen bestimmt bis zum Po.“ Wieherndes Gelächter. „Quatsch“, verwies Rolf. „Damen tragen eben lange Stiefel.“
„Und die hat jeden Tag Schinken auf ihren Frühstücksbroten.“
„Was will sie bloß hier?“ fragte wieder ein anderer.
Mißtrauen und Wachsamkeit spiegelten sich in den Bubengesichtern. Gisela war hier ein Außenseiter.
Was wollte eine so feine Dame auf Siebeneichen? Hier herumschnüffeln? Oder so eine ekelhafte Wohltätigkeit ausüben?
Auch die anderen Jungen bezogen Abwehrstellung. Als Knabenheim-Insassen hatten sie ihre Erfahrungen, das Mißtrauen und die Skepsis der Stiefkinder der Gesellschaft.
Aber Rolf – außerstande, sich über seine eigenen Gefühle klarzuwerden – widersprach dieser Skepsis. Seine Stimme war laut und bestimmt.
„Fräulein Ryssel ist sehr nett. Und sie kann doch wirklich nichts dafür, daß sie viel Geld hat. Jedenfalls prahlt sie nicht damit. Sie ist in Ordnung, das muß ich wohl wissen, wo ich sie als Klassenlehrerin habe.“
Plötzlich schwieg er. Gisela trat mit Willi Stranden aus der Tür. „Ich muß sehen, daß ich heimkomme“, sagte sie. „Tausend Dank für alles, Herr Stranden, und – erlauben Sie, daß ich mal wiederkomme und Sie besuche?“
„Mehr als gern, Fräulein Ryssel.“
Sie stand vor ihm, versuchte ein paarmal etwas zu sagen, stammelte, dann sah sie ihm plötzlich gerade in die Augen. Warum sollte sie es diesem vernünftigen Mann mit dem offenen Gesicht nicht gerade heraussagen?
„Herr Stranden, bitte, darf ich dem Heim ein kleines Geschenk geben? Ganz unsentimental, verstehen Sie? Darf ich das?“ Er blickte auf das eifrige Gesicht herunter.
„Natürlich dürfen Sie. Wenn es bloß nicht Schokolade oder Teddybären sind, oder…“
Sie lachte befreit.
„Nein“, erklärte sie. „Vorderhand sind es Vorhänge für die Zimmer und Bettücher für die Betten. Gute Nacht, Herr Stranden.“
Als Gisela in der Dämmerung heimradelte, lächelte sie glücklich vor sich hin. Sie trat nicht weniger schwungvoll die Pedale als auf ihrer Herfahrt. Aber aus einem anderen Grund. So froh war sie seit langen, langen Zeiten nicht mehr gewesen wie jetzt.
Die Ausstattungstruhe
Gisela stellte das Rad in den Keller, ging still die Treppe hinauf und schloß sich in ihrer Wohnung ein. Die beiden Zimmer waren nicht groß, aber alles, was ein verfeinerter Geschmack und eine wohlgefüllte Brieftasche mit der Wohnung ausrichten konnten, war getan: Schöne, bequeme Möbel, raffinierte Beleuchtung, weiche Teppiche, fein abgestimmte Farben. In der Bücherwand eine Stereoanlage, in einer Ecke ein Farbfernseher. Die winzige Küche war ein Wunder an moderner Zweckmäßigkeit: Ein kleiner weißemaillierter Elektroherd, ein Miniatureisschrank, eine kleine vollautomatische Waschmaschine, Spülbecken aus rostfreiem Stahl, und unter dem Fenster ein hellgrün lackierter Klapptisch mit Stühlen, Giselas gemütlicher Eßplatz.
Das Schlafzimmer hatte sie mit Möbeln
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