Neues Glück für Gisela
von daheim ausgestattet. Es schimmerte vor Reinlichkeit und Behaglichkeit, jedes einzelne Ding war zweckmäßig, praktisch und hübsch. Die Möbel waren von einem berühmten Innenarchitekten entworfen und von einem der bekanntesten Kunsttischler des Landes ausgeführt. Die Vorhänge hatten dezente Streifen und die Polsterung einen taubengrauen Überzug.
Gisela ging von Raum zu Raum. Sie besah sich ihre Sachen, sah sie mit neuen Augen. Zum ersten Male fühlte sie eine bewußte Besitzerfreude. Es wurde ihr klar, daß all diese Schönheit ihr gehörte, und zum ersten Male in ihrem Leben begann sie, diese Kostbarkeiten in Gedanken in Geld umzusetzen. Nie zuvor hatte sie daran gedacht, daß das, was sie besaß, ein kleines Vermögen darstellte.
Sie setzte sich in ihren guten Eckstuhl, und sie machte weder Radio noch Fernseher an. Sie blieb einfach so sitzen, starrte vor sich hin und dachte nach. Sie sah den kahlen Speiseraum vor sich, das ungemütliche Aufenthaltszimmer und die leeren, häßlichen Schlafsäle auf Siebeneichen.
In Gedanken fing sie an, die Zimmer neu zu streichen und nach ihrem Geschmack zu möblieren. Oh, was konnte man alles aus diesen großen Räumen machen! Man brauchte nicht einmal ein Vermögen daranzuwenden, Mahagoni oder orientalische Teppiche waren nicht nötig. Spritzlackierte Kiefer und Fleckerlteppiche konnten auch harmonische Innenräume schaffen.
Gisela träumte. Aber dann riß sie sich selbst aus den Träumereien heraus und ging zum Schreibtisch.
Sie schrieb ihrer Mutter und bat sie, ihr die ganze Ausstattungstruhe zu senden.
Denn die war vollgepackt mit Bettüchern und Daunenbezügen, Kissenbezügen und Handtüchern, alles mit einem zierlichen S bestickt. Sie hatte an Andreas Sund gedacht, als sie damals das S stickte, aber es konnte ebensogut Siebeneichen bedeuten.
Die Aussteuer, die sie selbst nie brauchen würde, die sollte ihre erste Gabe für das Knaben heim Siebeneichen sein.
Es war fast 12 Uhr, als sie den Brief beendete. Und obwohl es mitten in der Nacht war, ging sie noch auf die Post und warf den Brief in den Kasten. Vom Postamt ging sie langsam heimwärts. Die Luft war kühl und mild. Sie blieb einen Augenblick stehen und schaute zum Himmel auf. Die Sterne leuchteten über ihr.
Gisela lächelte. Seit Jahren war es ihr nicht so leicht ums Herz gewesen wie heute.
Es dauerte lange, ehe sie an diesem Abend einschlief. Ein helles, offenes Männergesicht, zwei klare, kluge blaue Augen standen die ganze Zeit vor ihr. In ihren Ohren klang eine munter neckende Stimme: Sie wollten mich doch fressen?
Sie dachte an Rolf, sie hatte heute eine neue Seite von ihm gesehen. Sie ahnte, daß der Weg zu Rolfs Herzen durch den Heimleiter Stranden ging.
Es dauerte lange, ehe der Schlaf kam. Aber trotzdem war sie froh und munter und guter Laune am nächsten Morgen. Heute hatte sie keine Angst. Sie freute sich auf die Schule.
Die Jungen blickten auf, als das „Fräulein“ hereinkam. Es war heute etwas Neues über ihr. Der Gang war sicherer, die Haltung verändert. Das Lächeln reifer, ruhiger als es früher gewesen war.
Gisela wußte es selbst nicht, woher dies gekommen war. Aber ihre Schüchternheit war weg, sie war nicht länger ängstlich und machte keine verzweifelten Anstrengungen, um die Buben für sich zu gewinnen. „Guten Morgen, Jungs!“ Ja, die Stimme war eine andere.
Der Tag ging vorüber, ruhig und im Gleichmaß. Die Jungen waren vernünftig, der Unterricht verlief reibungslos. Gisela war strahlender Laune.
An diesem Tag wurde nicht ein einziges Wort über sie geflüstert, weder im Schulhof noch auf dem Heimweg. Denn heute war das Fräulein so vernünftig, so natürlich, daß es nichts zu flüstern gab.
„Haben Sie das große Los gewonnen, Fräulein Ryssel?“ fragte Kollege Krogsvik in der großen Pause. „Ja, gewissermaßen“, lachte Gisela. „Sie sehen so glücklich aus.“
„Das bin ich auch. Ich bin jetzt wohl über die Anfangsschwierigkeiten hinweggekommen, jetzt fange ich an, mich an der Schule richtig wohlzufühlen.“
„Das freut mich wirklich“, sagte Herr Krogsvik und klopfte seine alte Pfeife auf der Ofenplatte aus.
Drei Tage darauf traf Giselas große Ausstattungstruhe ein.
Es war ein sonderbares Gefühl für sie, sie wiederzusehen. Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie sie öffnete. Sie hatte sie ein paar Jahre nicht mehr gesehen. Damals, als sie vom Krankenhaus heimkam, hatten liebe und verständnisvolle Hände sie weggeräumt.
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