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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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mehr, als wäre er der Erfinder von Ketchup. Denn dass er, Samuel Cohen, diese Waffe, die Lebewesen durch eine hohe Strahlendosis tötet, alles vom Menschen Erschaffene jedoch unangetastet lässt, als Erster konzipierte, hält er nur seiner Sturheit zugute.
    Samuel Cohen verkörperte wie kaum ein anderer westamerikanisches, kalifornisches Denken, mit dem die Welt in Zukunft immer häufiger konfrontiert werden wird.
    Aus dem Nordosten kam Sam, der 1921 auf einem Küchentisch in Brooklyn zur Welt gekommen war, im Alter von drei Jahren nach Los Angeles. Sein Vater, ein Zimmermann, bevorzugte das sonnige Kalifornien.
    Sams Vater war als kleiner Junge mit seinem Vater im Londoner East End in die Synagoge gegangen. Er glaubte an Gott, weil sein Vater ihn dazu zwang. Aber dann war Sams Vater so überwältigt vom Glanz und Reichtum der Synagoge, dass er den Vater fragte, weshalb sie zu Hause zu zehnt in nur einem Zimmer schliefen. Hätten nicht alle Kinder Gottes die gleichen Rechte in »Seinem Haus«? Es gab keine Erklärung, die den Jungen befriedigte. So nahm er Abschied von Gott. Und sein Sohn Sam wuchs als Atheist auf und blieb es sein Leben lang.
    Samuel Cohen beschrieb sich deshalb auch als einen unausstehlichen, sturen Kerl, der »nie irgendeinem besonderen politischen oder geistigen Dogma angehörte. Der einzige Glaube, den ich je hatte, war, dass ich mich völlig der militärischen Sicherheit meines Landes hingegeben habe, auch dann noch, als ich im heftig umstrittenen Geschäft mit Atomwaffen war.«
    Vielleicht sah er sich selbst da nicht ganz richtig. Denn sein Dogma, das ihn nicht nur intellektuell bewegte, sondern sogar seine Gefühle überkochen ließ, hieß »Antikommunismus«.
    »Ich hasste die Kommunisten«, so Samuel Cohen, »und wegen dieses Hasses war ich bereit, an der Bombe zu basteln. Ich hasste sie, seitdem ich ein Kind war und kann auch erklären, warum.«

    1925 war die Familie Cohen in East Los Angeles angekommen, in einem jüdischen Viertel. Es war zwar kein Ghetto, aber die meisten Menschen stammten aus europäischen Ghettos oder empfanden sich, wie Sams Vater, einer Gemeinschaft zugehörig. Man lebte in bescheidenen Verhältnissen. Die meisten Männer waren entschieden links. Viele hielten die Russische Revolution für die größte »Erfindung seit dem geschnittenen Brot«, so Sam Cohen, und wurden Kommunisten. Nachdem sein Vater Gott aufgegeben hatte, wurde er als Heranwachsender Sozialist und blieb es, bis Franklin D. Roosevelt an die Macht kam. Dann wechselte er zu den Demokraten. Viele seiner besten Freunde waren Kommunisten, während er die Diktatur Stalins ablehnte.
    Eines Tages stellte Sams Vater fest, dass die Kommunisten aus der Nachbarschaft versuchten, seine örtliche Gewerkschaftsgruppe zu übernehmen. Da platzte ihm der Kragen. Denn er war der Schatzmeister der Gewerkschaft und fing deshalb an, über die Aktivitäten der Kommunisten Buch zu führen. Bald hatte er genug zusammengetragen, um ihre Machenschaften auffliegen zu lassen. Er legte der Gewerkschaftsführung die Beweise vor. Daraufhin wurden die Kommunisten nicht nur aus der Gewerkschaft ausgeschlossen, sondern sie verloren auch ihre Jobs. Auch neue Anstellungen bekamen sie nicht, denn in Los Angeles herrschte ein starker Antisemitismus und ein noch heftigerer Antikommunismus.
    Von da an war das Familienleben der Cohens gestört durch Drohbriefe und anonyme Anrufe, die Tag und Nacht über Jahre hinweg eingingen. Selbst die Freunde des jungen Sam wandten sich von ihm ab und schlugen ihn zusammen, wann immer sich die Gelegenheit ergab. So haben sie ihm seinen lebenslangen Hass auf den Kommunismus regelrecht eingebläut.
    »Wegen dieser Kindheitserfahrung«, so Sam Cohen, »fühlte ich mich wohl beim Militär, das traditionsgemäß die Bolschewiken hasste.«
    In der Schule glänzte er.
    Besonders die Naturwissenschaften hatten es ihm angetan. Doch er sehnte sich nicht nach dem Studium. »Ich wollte eigentlich Totengräber werden«, sagte er, »was ich sogar eine Zeit lang war. Aber mein Boss hat mich rausgeschmissen, weil er nicht wollte, dass ich so enden würde wie er.« So promovierte Samuel Cohen in Physik an der University of California in Los Angeles. »Gott sei Dank kam der Krieg«, sagte er, »da habe ich mich schnell zur Armee gemeldet. Aber die wollte mich wegen meiner schlechten Augen nicht. Irgendwann brauchten sie dann auch Leute wie mich. Ich sollte zum Funker ausgebildet werden. Und damit ich was Technisches

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