Neugier und Übermut (German Edition)
Teller wurde als Zeuge in dieser Anhörung befragt, und er bezweifelte offen, dass Oppenheimer in Rüstungsfragen wirklich zuverlässig sei. Aufgrund dieser Aussage wurde Oppenheimer der Zugang zu Staatsgeheimnissen entzogen.
Das, was Kistiakowsky mir dann schilderte, spielte sich beim jährlichen Festessen der Atomforscher ab. Dieses Ereignis war für die Wissenschaftler der gesellschaftliche Höhepunkt des Jahres. Die Männer trugen Smoking, die Frauen Abendkleider. Nachdem Teller gegen Oppenheimer vor dem McCarthy-Ausschuss ausgesagt hatte, fand dieses Festessen wieder statt, und als Edward Teller mit seiner Frau zu dem Tisch trat, an dem sie Platz nehmen sollten, standen plötzlich alle daran sitzenden Wissenschaftler auf und verließen schweigend den Saal. Teller war vor aller Augen blamiert.
Ich fragte Sam, ob er diese Geschichte kenne.
»Ja, das war das Peinlichste, was Teller je ertragen musste«, sagte er. »Er hat sich von dieser öffentlichen Bloßstellung nie wirklich erholt.« Dann schwieg Sam einen Moment, holte tief Luft und fragte mich, ob ich einen neuen Drink vertragen könne. Als ich nickte, ging er in die Küche und kam bald mit zwei kalten Gin Tonic zurück.
»Teller und ich haben gemeinsam für den Bau der Neutronenbombe gekämpft«, sagte er. Niemand im Pentagon wollte seine Erfindung umsetzen. Als wollte er Ketchup an Supermärkte verkaufen, so reiste Samuel Cohen durch die Lande und pries seine Erfindung an. Im Senat fand er schließlich einen Unterstützer. Doch im Pentagon: nur Ablehnung. Bei der Nato: nur Stirnrunzeln. Wenn er an seine Diskussionen mit den Militärs dachte, fiel Sam nur Negatives ein: »Die wollen doch nur alles wegblasen.«
Die Air Force wollte die Strahlenbombe nicht. Aber die Navy wurde hellhörig: Damit könnte sie beim Senat vielleicht mehr Geld für ihre Flugzeugträger herausholen. Samuel Cohen stellte fest: Nicht im Pentagon lagen Macht und Vernunft, sondern beim Präsidenten. Und er hatte Glück. Präsident Eisenhowers Sohn, Adjutant seines Vaters, hörte Cohen begeistert zu.
»Er fragte mich bald, ob ich eine Minute warten könne. Ich antwortete: sicherlich«, erzählte Sam. Der Sohn wollte den Vater der Neutronenbombe dem Präsidenten vorstellen. Doch schon nach einigen Minuten kam er traurig zurück. »Ich wollte, dass mein Vater das gleich hört, aber er ist im Garten.« Der Präsident spielte im Garten des Weißen Hauses Golf und hatte die Order ausgegeben, er wolle sich entspannen und dürfe nur im Falle eines Krieges gestört werden. Vielleicht liegt darin der Grund, weshalb Samuel Cohen später, im hohen Alter, seiner Autobiographie den Titel »F*** you! Mr. President« gab und sich auch von Freunden nicht dazu überreden ließ, ihn zu ändern.
Kennedy hielt nichts von der Bombe – und empfing den Erfinder nicht. Nixon dagegen ließ sich die Vorzüge der Strahlenwaffe erklären. Sam schüttelte zwar immer noch den Kopf vor Verwunderung, als er sagte: »Seine Wortwahl war genauso obszön, wie wir sie von den Watergate-Tonbändern kennen.« Aber er meinte auch, dass Nixon 1968 die Neutronenbombe hätte bauen lassen, wenn Kissinger nicht dagegen gewesen wäre.
Nixons Nachfolger Gerald Ford stimmte der Entwicklung der Neutronenbombe zu, und Jimmy Carter erbte das Programm zu seinem Entsetzen. Er wollte eher abrüsten, konnte sich aber nie entscheiden, was nun geschehen sollte.
Der Zufall wollte es schließlich, dass Samuel Cohen gerade in Paris lebte, als Ronald Reagan dort auf seiner Tournee im Vorwahlkampf Station machte. Ein Freund von Sam Cohen rief ihn an und schlug vor, er möge doch Reagan treffen. Cohen sprang in die Metro, fuhr zu Reagans Hotel, und die beiden verstanden sich blendend. Nach mehreren Stunden wurde Cohen von Reagan in dessen Beraterstab aufgenommen. Als Präsident genehmigte der dann den Bau von siebenhundert Neutronenbomben, und damit waren die Verkaufsreisen von Samuel Cohen abgeschlossen.
Sam sagte nachdenklich: »Oppenheimers Denken kam aus Europa, seine komplizierte, ihn selbst schmerzende Moral wurde von christlicher Religion geprägt. Ich dagegen denke nur praktisch. Wenn man Kriege führen will, dann eben mit möglichst wenig Schaden, Sachschaden.«
Sein Hund bellte im Haus. Sam stand auf, holte den kleinen Pudel aus dem Wohnzimmer und setzte ihn auf seinen Schoß.
Ich stieß mich an dem Wort »Sachschaden«. Würden nicht auch viele Menschen an den Strahlen der Neutronenbombe jämmerlich zugrunde gehen? Sam
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