Neugier und Übermut (German Edition)
erzählte sie nicht, aber da ja fast jeder, der etwas auf sich hielt, bei Ria verkehrte, vom Bundespräsidenten über Kanzler, Minister hin bis zu Geheimdienstchefs, hat sie sicher viel aufgeschnappt. Zu Rias ehernen Gesetzen gehörte aber: Was bei mir geredet wird, wird nicht weitergetrascht.
Aber natürlich hat sie doch das eine oder andere gern erzählt. Etwa, dass sie schon 1945 mit dem amerikanischen General Patton auf dem Tisch getanzt habe, als Patton die damals von ihrem Vater geführte Weinstube beschlagnahmt und in eine Offiziersmesse verwandelt hatte. Oder dass Konrad Adenauer der rheinische Tonfall von Ria gefiel und er im Maternus heimisch war. So habe sie Adenauer spöttisch gefragt, weshalb er denn einen Grafen zum Protokollchef ernannt habe (Muss dat een Graf sein?). Da habe Adenauer ruhig geantwortet: »Ach, lassen Sie nur, der ordnet doch nur die Blumen.«
Weil Ria die Kanzler und Außenminister kannte, hat sie auch deren Gäste, die »Großen der Welt« bewirtet, Truman, Eisenhower, Kennedy, Nixon, Reagan, de Gaulle, Wilson, Heath, Kreisky und Gorbatschow.
Für Journalisten war ein Besuch bei Ria immer ein großer Gewinn. Denn hier waren auch die führenden Politiker von Regierung und Opposition Stammgäste, wie Willy und Rut Brandt, Rainer Barzel, Kurt Biedenkopf, Hans-Dietrich Genscher, Franz-Joseph Strauß, Norbert Blüm (er nannte Ria in einem Nachruf in der FAZ : Beichtmutter der Bonner Republik), Walter und Mildred Scheel.
Meine Mutter, eine ähnliche rheinische Frohnatur wie Ria, traf sich mit ihrem »Damenkränzchen« regelmäßig bei Ria. Dazu gehörten Rut Brandt, Heilwig Ahlers, Gisela Nowottny und Frau Lueg und später auch die sehr viel jüngere Karin Clement. So wurde ich als Teil der großen Ria-Familie eingeordnet. Manches Mal kam ich abends und wurde von Ria gleich an einen Tisch zu einer fröhlichen Runde gesetzt. Und ich wundere mich heute noch, wer bloß unsere Zeche gezahlt hat. Ich nicht. Aber ich war ja auch der Jüngste und Ärmste und ich sah außerdem auch sonst niemanden eine Rechnung bestellen oder gar begleichen.
Eines Tages setzte mich Ria zu Mildred Scheel an den Tisch und zwinkerte mir zu. Wir hatten gleich ein Gesprächsthema, denn Mildred Scheel war Ärztin in München gewesen und gehörte damals zum Freundeskreis des Kabarettisten Werner Finck. Walter Scheel würde auch ihm das Bundesverdienstkreuz verleihen. Finck sinnierte mit mir darüber, ob er bei dieser Gelegenheit die elf Karnevalsorden anlegen sollte, die er erhalten hatte. Ich ermunterte ihn begeistert. Er hat es aber nicht getan. Mildred Scheel steckte mir dann ihre private Telefonnummer zu: Ich möge sie doch einmal zum Tee besuchen. Das habe ich nicht getan. Aber beim nächsten Bundespresseball haben wir heftig und wild getanzt.
Zum letzten Mal habe ich Ria bei der Beerdigung meiner Mutter in der Kirche in Oberwinter bei Bonn gesehen. Ein kleines Baby, eine Urenkelin der Verstorbenen, war auch dort und machte seine Geräusche. Da sagte Ria tröstlich am Ausgang der Kirche, es sei doch schön zu wissen: Während der eine geht, kommt der andere.
Doch zurück zu Hans-Dietrich Genscher. Als Außenminister wurde er lange Zeit, vielleicht auch heute noch unterschätzt. Während ich als Korrespondent in New York auch für die Vereinten Nationen zuständig war, lernte ich ihn ein wenig besser kennen. Jeden September wiederholte sich dort die gleiche Szene: Genscher kam zu Beginn der Hauptversammlung, hielt seine Rede, traf im Halbstundentakt die Außenminister kleinerer Staaten, gab einen großen Empfang im Waldorf-Astoria und mir ein Interview. Damals waren seine Antworten mir häufig zu weitläufig. Erst als ich von New York nach Paris gewechselt war, machte ich die Erfahrung, dass er im Gespräch ohne Kamera sehr viel offener sprach – und ich weitaus mehr erfuhr. Vielleicht genoss ich aber auch dann erst sein Vertrauen.
Genscher fand auch dann Wege, seine Politik voranzutreiben, wenn Bundeskanzler Helmut Kohl oder die CDU anderer Meinung waren. Kohl war zum Beispiel für Reagans Raketenabwehrschirm SDI, Genscher dagegen. Kohl war für die Modernisierung der Lance-Kurzstreckenraketen, Genscher dagegen, Kohl wollte die Oder-Neiße-Grenze nicht vor der Vereinigung garantieren, Genscher tat es.
Und Genscher war auch weitsichtig.
Schon im Jahr 1988 hatte er dem sowjetischen Außenminister Schewardnadse den Zusammenbruch der DDR vorausgesagt. Es war mehr als eine Ahnung, denn Genscher, der seine
Weitere Kostenlose Bücher