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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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einen, der mich über Genscher informierte.
    Am frühen Abend des 16. Juli 1990 erhielt ich einen Anruf, Genscher werde gegen Mitternacht ins Hotel Bristol kommen, und zwar direkt von den Gesprächen mit Kohl bei Gorbatschow im Kaukasus. Das Hotel liegt nur wenige Schritte vom Elysée- Palast entfernt, wo deutsche Regierungs-Delegationen schon seit Adenauers Zeiten absteigen.
    In den französischen Abendnachrichten wurde berichtet, dass zwischen der Bundesregierung und Gorbatschow in den entscheidenden Fragen der NATO-Zugehörigkeit des zu vereinenden Deutschland, der Manöver in der bald ehemaligen DDR und der Höhe der Truppen in der Bundeswehr eine Einigung erzielt worden sei.
    Das legendäre Bild von Kohl in seiner Strickjacke an einem Holztisch mit Gorbatschow und Genscher auf Baumstümpfen sitzend stammt von diesem Tag.
    Dieses Treffen in Archiz im Kaukasus war der endgültige Durchbruch zur deutschen Wiedervereinigung.
    Um Mitternacht saß ich in der Lobby des Hotel »Bristol«, und als Hans-Dietrich Genscher mit seinen Mannen das Hotel betrat, strahlten alle. Genscher, weil er wusste, dass wir jetzt noch ein Gläschen zusammen trinken würden, seine Begleiter, weil sie wussten, dass der Minister gut aufgehoben war und sie jetzt kein Gläschen mehr mit ihm trinken müssten, sondern gleich ins Bett gehen könnten. Dabei war auch Genschers Büroleiter Frank Elbe. Wir kannten uns vom Studium: Er hatte mich bei Inter Nationes eingeführt, wofür ich ihm heute noch dankbar bin.
    Genscher bestellte ein Bier, sprang aber gleich wieder auf: »Ich muss eben Roland anrufen!« Er ging in eine Telefonzelle neben dem Hotelempfang und schilderte seinem Freund, dem französischen Außenminister, kurz die Ergebnisse aus den Gesprächen mit Gorbatschow.
    Dann saßen wir noch eine gute Stunde zusammen bei zwei, drei Bier. Und Genscher war euphorisch. Ganz gerührt erzählte er mir, dass während eines Spaziergangs mit Gorbatschow, Kohl und Schewardnadse sich plötzlich eine Hand auf seinen Arm gelegt habe und ihn beiseite zog. Es war Raissa Gorbatschow. Offenbar machte sie sich Sorgen, fragte, ob sich ihr Mann nicht zu weit vorgewagt habe. Denn im Obersten Sowjet wuchsen die Gegenkräfte. Sie schilderte Genscher ihre Ängste und flehte ihn an, Deutschland müsse seine Zusagen aber auch einhalten. »Ich bin stehengeblieben, habe ihr in die Augen geschaut und die Hand gegeben«, erzählte Genscher. Er hoffte, sie beruhigt zu haben, dass er wohl wisse, welches Risiko Michail Gorbatschow eingehe. Sie könne Deutschland vertrauen.
    Gegen eins fragte ich Genscher, auch weil ich müde wurde, ob er sich nicht zur Ruhe begeben wolle – ich wusste ja, dass er mit seinem Herzen Probleme hatte. Er stand fröhlich auf.
    Am nächsten Morgen würde er im »Bristol« mit dem amerikanischen Außenminister James Baker frühstücken, anschließend würden Zwei-plus-Vier-Gespräche stattfinden, am Nachmittag auch mit dem polnischen Außenminister Skubiszewski über die Westgrenze Polens.
    Die Zwei-plus-Vier-Verhandlungen liefen dann zügiger, wenn die Minister anwesend waren, und weniger einfach, wenn sich nur die Diplomaten trafen – die französischen, aber auch die britischen Beamten bremsten, wo sie nur konnten. Doch schließlich war alles früher geregelt als erwartet. Noch im letzten Moment wollten britische Beamte die Unterschrift in Moskau verzögern. Doch Genscher wandte sich beim Frühstück an seinen Freund Roland Dumas: »Roland, ich habe dich nie um einen Gefallen gebeten, aber jetzt musst du mir helfen: Mach dem Briten Hurd die Situation klar.« Dumas tat, wie gebeten, und wie geplant wurde unterschrieben – auch von den Briten. Bevor Genscher im Mai 1992 zurücktrat, wurde die Beziehung zwischen deutschem und französischem Außenminister durch die Jugoslawienkrise auf eine schwere Probe gestellt. Roland Dumas sagte mir: »Ich habe nie verstanden, weshalb Genscher sich so verhalten hat.«
    Während Genscher Kroatien und Slowenien schon im Juli 1991 anerkennen wollte, setzte Frankreich auf den Erhalt des Gesamtstaates, und das aus zwei Gründen. Zum ersten war Frankreich proserbisch eingestellt, zum zweiten fürchteten Dumas und Mitterrand, das Zerbrechen Jugoslawiens könne nur der Anfang einer Aufsplitterung ganz Osteuropas in kleine Nationalstaaten bedeuten und damit Dutzende von Bürgerkriegen heraufbeschwören.
    »Er versteifte sich gegen Serbien«, erklärte mir Dumas. »Ich habe ihm gesagt: ›Wollen wir die Geschichte von

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