Neugier und Übermut (German Edition)
1914 wiederholen? Die Deutschen beziehen Position mit ihren Freunden, die Franzosen treten für die Serben ein, und dann schlagen wir uns auch noch?‹ Es war eine harte Prüfung für uns, aber wir blieben nah beieinander. Im August habe ich den Vorschlag mit dem internationalen Schiedsgericht unter Badinter gemacht. Genscher meinte, das reiche für ihn zu Hause nicht, es müsse noch eine politische Komponente dazu, die EG-Friedenskonferenz. Das haben wir dann auch erreicht. Diesmal hatte ich die Idee, und es war für Genscher sehr viel schwieriger als für mich.«
Als ich Genscher darauf ansprach, sagte er: »Es war für mich der komplizierteste Kasus überhaupt. Wir haben uns tief in die Augen gesehen, und jeder wusste, was der andere denkt. Daraus hat sich aber keine deutsch-französische Entfremdung ergeben.«
Dank des gegenseitigen Vertrauens ist Deutschland noch mal mit einem blauen Auge davongekommen.
Auch seine besondere Begabung als Menschenfänger hat Genscher in diesem Fall geholfen, als erfolgreicher Außenminister in die Geschichte einzugehen.
Auch Kanzler haben Angst vor Macht
Die Stimmung war schon angespannt, als ich in das Büro von Bundeskanzler Helmut Schmidt geführt wurde. Er saß an seinem Schreibtisch, vor sich mehrere Unterschriftsmappen. Er setzte mit dem Füllfederhalter seinen Namen unter das eine und andere Papier, nachdem er es kritisch beäugt hatte und nahm mich nicht wahr.
Wer war ich auch, um etwas anderes zu erwarten?
Es war Anfang 1981, in Frankreich standen im Mai Präsidentschaftswahlen an, und Schmidts politischer Freund Valéry Giscard d’Estaing wollte wiedergewählt werden. Was, wie wir wissen, nicht geklappt hat.
Die ungewöhnlich enge Beziehung eines deutschen Bundeskanzlers zu einem französischen Präsidenten faszinierte mich als ARD-Korrespondent in Paris. Deshalb rief ich Regierungssprecher Kurt Becker in Bonn an. Ich sagte ihm, ich würde gern für die ARD einen längeren Bericht über das Paar Schmidt-Giscard drehen. Dazu müsste ich dann gern den Bundeskanzler interviewen. Allerdings, so sagte ich zu Becker, ein Interview habe nur dann Sinn, wenn Schmidt sich auch konkret dazu äußern wolle. Andernfalls sollten wir es lieber sein lassen.
Wenige Tage später erhielt ich die Zusage und einen Termin im Kanzleramt. Ich war also guten Mutes, vom Bundeskanzler eine wenn auch nicht persönliche, aber doch gehaltvolle Aussage zu erhalten und fuhr zum verabredeten Zeitpunkt nach Bonn in das nüchterne Eisenglasgebilde namens Kanzleramt. Helmut Schmidt, der eigentlich Städtebauer werden wollte, meinte ironisch, der Bau habe »den Charme einer rheinischen Sparkasse«. Dann hatte er dafür gesorgt, dass auf dem Rasen vor der Einfahrt eine große Skulptur von Henry Moore aufgestellt wurde.
Im zweiten Stock lag ein Raum neben dem Amtszimmer des Kanzlers, in dem drei Kamerateams und einige Beleuchter zwei Sessel ins Visier genommen hatten. Darauf sollte ich das Interview mit Helmut Schmidt führen.
Nun saß er am Schreibtisch, schaute kaum von seiner Tätigkeit auf, und blaffte mich an: »Was wollen Sie?«
»Wir machen einen Film«, hob ich an, da wurde ich schon vom Bundeskanzler unterbrochen: »Wer ist ›wir‹?«
Ich hatte den Plural gewählt, weil ich zwar Autor des Berichts sein würde, aber doch ein großes Team an der Arbeit beteiligt war. Das interessierte den Kanzler nicht.
» Ich mache einen Film über die politische Freundschaft des deutschen Bundeskanzlers mit dem französischen Präsidenten.«
»Was wollen Sie da wissen?«
»Das fängt schon mit der Frage an, ob die unselige deutschfranzösische Geschichte in Ihrer Beziehung je eine Rolle gespielt hat?«
»Was soll ich dazu schon sagen?«
Ich schwieg.
Schmidt unterschrieb weiter.
Ich schwieg weiter und fühlte mich äußerst unwohl.
Nach einer Weile stand der Bundeskanzler auf, trat neben seinen ebenfalls schweigenden Regierungssprecher an die große Fensterwand, die den Blick in den sonnendurchfluteten Park freigab, und sagte: »Ich glaube, das Wetter wird am Wochenende schön.«
Dann ging der Kanzler, ohne ein Wort zu sagen, zur Tür, machte sie auf, betrat den Raum, in dem das Interview stattfinden sollte, grüßte niemanden und setzte sich auf den Sessel, den ich ihm mit einer Handbewegung zuwies. Keiner der Mitglieder des großen Teams rührte sich. Man kannte Schmidt.
In dem Gespräch stellte ich auch eine Frage zum NATO-Doppelbeschluss. Das war nicht nur außenpolitisch eine heikle
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