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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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bleibt drin!«

    Einige der Zeitzeugen -Gespräche, die mit Hans-Dietrich Genscher (auch drei Stunden), mit Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker, mit Gerhard Schröder und Wolfgang Thierse, wurden von Ulrich Frank-Planitz im Hohenheim-Verlag veröffentlicht. Als Frank-Planitz jedoch daran ging, das Gespräch mit Kohl als Buch fertig zu machen, kam die Schwarzgeld-Affäre von Kohl hoch. Doch dazu wollte der ehemalige Bundeskanzler sich nicht mehr befragen lassen. So wurde auch dieses Kapitel für mich geschlossen.

    Wann ich Gerhard Schröder das erste Mal begegnet bin, weiß ich nicht mehr. Ich vermute, dass es in einer Bonner Kneipe war, als er junger Abgeordneter im Bundestag war. Bekannt ist, dass er nach einem durchzechten Abend in Bonn an den Gittern des Kanzleramtes gerüttelt und gerufen hat: »Ich will da rein«, und obwohl es jeder ernst nahm, konnte es selbst der nicht verhindern, der es wollte. Nach sechzehn Jahren Kohl war Gerhard Schröder drin und hat sich darüber diebisch gefreut – so sehr und so ausgiebig, dass es ihm selbst manch einer von denen übel nahm, der ihn gewählt hatte. Denn in den ersten Monaten im Amt wirkte es so, als sei Gerhard Schröder mit seinem Latein am Ende. Drin war er, aber um was zu tun?
    Als das Amt des Bundeskanzlers auf Helmut Schmidt zukam, befürchtete der, die Anforderungen, die er selbst an das höchste Regierungsamt stellte, nicht erfüllen zu können. Auch Helmut Kohl meinte in unserem Dreistundengespräch, nachträglich sei er froh, bei der Bundestagswahl 1976, in die er als Spitzenkandidat der Union gegangen war, nicht die absolute Mehrheit gewonnen zu haben, denn als Kanzler hätte er höchstens ein Jahr durchgehalten.
    Wer nicht reif ist für ein Amt, der kann daran scheitern. Das hat selbst Gerhard Schröder einmal eingesehen. 1986 bewarb er sich um das Amt des Ministerpräsidenten von Niedersachsen, holte zwar eine Steigerung von fast fünf Prozentpunkten für seine Partei, aber es reichte erst eine Legislaturperiode später für die Machtübernahme. Er wurde zunächst Oppositionsführer in Hannover und sagte selbstkritisch: »1986 hätte ich das nicht gekonnt. Ich war nicht so weit, etwa Konflikte, die da kommen, durchzustehen, um zu entscheiden.« Aber solche Zweifel kannte er nach 1998 nicht mehr.
    Weil Politiker in Bonn wenig Abwechslung fanden, konnte man sie, wenn man wollte, am Tresen von bestimmten Kneipen finden. Ich erinnere mich noch an einen Abend, an dem ich mit meinem Bruder im Mierscheid an einem Holztisch beim Kölsch stand, als Gerhard Schröder mit Ehefrau Hillu und einigen anderen zur Tür hereinkam. Er blieb bei uns stehen, wir unterhielten uns angeregt, als einer seiner Begleiter aus dem Nebenraum mit ernstem Gesicht kam und sagte: »Hillu sagt, du sollst jetzt sofort kommen!« Woraufhin Gerhard Schröder das Gespräch »jetzt sofort« abbrach und mit einem kurzen trockenen Lacher verschwand.
    Das Mierscheid war an der Stelle Ecke Schumannstraße/ Weberstraße und ist benannt nach dem SPD-Abgeordneten Jakob Maria Mierscheid, eine erfundene Person, über den sich politische Insider genau so amüsierten wie über den fiktiven Diplomaten Edmund F. Dräcker. Es ist ein proper bürgerlich wirkendes Lokal und liegt an dem Ort, wo einst die legendäre Schumannklause, eine linke Destille mit Postern von Klaus Staeck, junge Politiker und Journalisten anzog. Friedel Drautzburg war dort Stammgast, als die alten Wirtsleute erklärten, sie wollten aufgeben und Friedel fragten, ob er die Kneipe nicht übernehmen wolle. Er tat es. Allerdings war er im Hauptberuf bei einem SPD-Abgeordneten in der legendären 16. Etage des Langen Eugen angestellt. In der 16. Etage saßen die jungen »linken« SPD-Abgeordneten. »In der Schumannklause wurde der Vietnamkrieg entschieden!«, sagt Friedel heute noch. Und ich erinnere mich sogar noch, dass die Musikbox »bandiera rossa« spielte, wenn man A 1 drückte. Am Flipper, den meine damals dreijährige Tochter hervorragend beherrschte, wurden die Rheinischen Flippermeisterschaften ausgetragen.
    Jede politische Couleur suchte sich ihr Lokal in Bonn. Im Kessenicher Hof tagten die »Kanalarbeiter«, die rechte Gruppe von SPD-Abgeordneten. Die »Gelbe Karte«, ein Zusammenschluss junger kritischer Journalisten, die sich von den alten ausgegrenzt fühlten, führte ihre Hintergrundgespräche in den Argelanderstuben. Ich war meist dabei.
    Später zogen das Gambrinus, die Provinz und auch Grunert’s Nachtcafé

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