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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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diesem jüdischen Bäcker zu kaufen. Und da war ich sicherlich als Kind gelegentlich dabei. Er hat mich dann gefragt. Und dann habe ich so oft für mich, wenn ich darüber nachdachte, auch gesagt, meine Mutter hätte ja auch ganz anders reagieren können. Das ist ein weiterer Beweis für meine Lebenserfahrung, dass man sich im Leben zwei Mal sieht, und beim ersten Mal daran denken soll, wie man beim zweiten Mal aussieht. So hat mich meine Mutter, die damals nicht mehr lebte, die das sehr genossen hätte, wenn ich ihr die Geschichte hätte erzählen können, in Tel Aviv eingeholt.«
    Solche Geschichten belegen, wie geschickt Kohl andere Politiker für sich persönlich und gleichzeitig auch für die deutsche Geschichte interessieren konnte.
    Ihm gelang es auch, politische Patzer zu korrigieren. Im USWahlkampf 1992 nahm er für George Bush Stellung – gegen Bill Clinton. Bei seinem ersten Treffen mit Clinton im Weißen Haus hat Kohl dies im Zwei-Augen-Gespräch sofort angesprochen und gesagt: »Nun lassen Sie uns mal über uns reden. Sie wissen ja nur von mir aus den Akten und Berichten, und Sie wissen so gut wie ich, wie viel dummes Zeug da steht. Lassen Sie uns das filtern.«
    Und dann tauschten Kohl und Clinton ihre Lebensgeschichten aus. Später waren die Delegationen erstaunt, dass es gar keine Spannungen zwischen Clinton und Kohl gab. Kohl sagte: »Und am Abend nach dem Essen sagte Clinton, und das war, wenn Sie so wollen, der Durchbruch, ob ich noch einen Moment Zeit hätte dazubleiben. Ich sagte, ja. Dann ist er herausgekommen mit einer älteren Dame und sagte, das ist meine Mutter. Sie haben vorhin von Ihrer Mutter erzählt. Dann saß sie bei uns und dann haben wir erzählt, wie es meiner Mutter gegangen ist im Alter, wie halt normale Leute miteinander reden. Es war die Stunde des Beginns einer Freundschaft bis zum heutigen Tag.«

    Die Beziehung zu Michail Gorbatschow hat Kohl allerdings erst einmal mit einem saloppen Spruch schwer belastet. In einem Interview mit dem US-Magazin Newsweek im Herbst 1986 sagte er über Gorbatschow: »Das ist ein moderner kommunistischer Führer, der war nie in Kalifornien, nie in Hollywood, aber der versteht etwas von PR. Der Goebbels verstand auch etwas von PR. Man muss doch die Dinge auf den Punkt bringen!«
    Außenminister Hans-Dietrich Genscher musste zunächst versuchen, über den sowjetischen Außenminister Schewardnadse die Wogen ein wenig zu glätten.
    Also fragte ich Helmut Kohl: »Manch einer Ihrer Mitarbeiter sagte, mit der Sprache, da würde es manchmal bei Ihnen, sagen wir mal, ungenau werden. Insbesondere wurde das gesagt, als Sie einmal Gorbatschow als PR-Mann …«
    Ich hatte die Frage noch nicht fertig ausgesprochen, da fiel mir Kohl auch schon ins Wort:
    »Das war eine Riesendummheit, um das einmal zu sagen. Das war ein gerotztes Interview, das trifft aber mich. Man hat es einfach nicht noch einmal nachdenklich überlesen. Das hat bloß keiner gemacht. So etwas passiert im Geschäft. Ich habe mich später dafür entschuldigt.«

    Kohl wird in einer lauen Sommernacht lange mit Michail Gorbatschow auf der Mauer des Kanzleramts zum Rhein hin sitzen und stundenlang die Geschichten ihrer Familien in der Geschichte beider Länder austauschen, während unten am Rheinufer die Liebespaare vorbeiturteln und verwundert auf die beiden Staatsmänner im Gespräch schauen. Kohl wird genauso mit Boris Jelzin verfahren.
    Nur einmal unterbrachen wir unser Gespräch nach mehr als anderthalb Stunden. Im Übertragungswagen mussten die Bänder getauscht werden.
    Wir tranken eine Tasse Kaffee. Dann führten wir unsere Unterhaltung fort. Am Schluss hatten wir drei Stunden und zwanzig Minuten aufgezeichnet. Doch dann kam Kohls Büroleiter und sagte, es müsse im Interview geschnitten werden: »Herr Bundeskanzler, als Ehrenvorsitzender einer christlichen Partei können Sie nicht sagen, Sie hätten sich gefreut, als Sie hörten, die Ceauºescus sind hingerichtet worden.«
    Kohl widersprach.
    Der rumänische Diktator und seine Frau hätten vor ihm gesessen und darum gefeilscht, wie viel Geld sie bekommen wollten für jeden Menschen, den sie aus ihrer Diktatur nach Deutschland in die Freiheit reisen lassen würden. Geld, das in der Schweiz auf Nummernkonten eingezahlt werden sollte. Dieser Menschenhandel, bei dem, so Kohl, Frau Ceauºescu besonders hartherzig und geldgierig aufgetreten sei, habe ihn angeekelt.
    »Nein,« widersprach Kohl seinem Büroleiter, »die waren so grässlich. Das

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