Neugier und Übermut (German Edition)
fällt lieber wegen Nebensächlichkeiten über ihn her, wegen seiner Freundschaft zu Putin, dem »lupenreinen Demokraten«, oder wegen seines von der deutschen Industrie gewollten Engagements bei der deutschsowjetischen Gaspipeline.
Dass es Deutschland im Jahr 2012 so gut geht, das ist der mutigen Politik Gerhard Schröders zu verdanken. Das ist Schröders Werk, der sich spät – aber nicht zu spät – zu Maßnahmen entschlossen hat, die Deutschland reformiert haben. Mutig war die Politik, denn er tat, was getan werden musste, obwohl es ihn das Amt kostete.
Dem Ausland ist das bewusst. Als der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy vor seiner Wiederwahl stand, lud er im Dezember 2011 Gerhard Schröder in den Elysée-Palast ein und bat ihn, ihm die Agenda 2010 zu erläutern. Im Wahlkampf sagte Sarkozy, werde er den Vorgaben Schröders folgen. Und Schröder unterstützte ihn darin.
François Hollande, Nachfolger von Sarkozy als Staatsprä- sident, machte eine ungewöhnliche Geste. Er lud im Juni 2012, noch nicht einmal vier Wochen im Amt, deutsche Industrievertreter zum Mittagessen ein. Sie sollten ihm erklären, warum es der deutschen Wirtschaft so gut gehe im Gegensatz zur französischen. Dabei waren die Chefs von E.ON, Siemens, Deutsche Bank, BDI-Chef Hans Peter Keitel und auch Thyssen-Krupp Aufsichtsratschef Gerhard Cromme.
Cromme erklärte dem französischen Präsidenten, dass Frankreich vor zehn Jahren in fast allen Bereichen weit besser dagestanden habe als Deutschland, in der Wettbewerbsfähigkeit, im Außenhandel, in der Staatsverschuldung.
Deutschland war der kranke Mann Europas.
Schröder hatte seine Reformen verabschiedet und nur zwei Jahre Zeit, die Folgen zu ernten. Zwei Jahre waren zu kurz, er wurde abgewählt. Dagegen habe er, Hollande, so die deutschen Industriebosse, jetzt einen Vorteil. Er habe fünf Jahre vor sich. Die Botschaft der deutschen Besucher an François Hollande lautete:
»Seien Sie der französische Gerhard Schröder, Monsieur le Président.«
Mit zeitlichem Abstand zu ihrem aktiven Wirken ändert sich das Bild von Politikern. Der einst von linken Intellektuellen in Deutschland als »Pragmatiker« geschmähte Helmut Schmidt gilt inzwischen bei fast allen als »Polit-Guru«. Er selbst hält das für übertrieben. Aber insgeheim? Freut es ihn da nicht doch?
Als ich auf Bitten von Günter Grass vor einigen Jahren an der Lübecker Universität ein Gespräch zwischen ihm und Joschka Fischer moderierte, hat Grass den ehemaligen grünen Außenminister aufgefordert, sich nicht zurückzuziehen, sondern sein ganzes politisches Gewicht in die öffentliche Diskussion zu werfen. Joschka Fischer hat das abgewehrt: »Nein, das ist bei mir jetzt alles vorbei.«
Daraufhin Grass: »Nehmen Sie sich ein Vorbild an Helmut Schmidt, der wird mir immer lieber, weil er immer wieder Stellung bezieht.«
Im Herbst letzten Jahres führte Helmut Schmidt ein ellenlanges Gespräch querbeet über alle Themen der Politik mit Peer Steinbrück. Daraus wurde ein dickes Buch. Weil beide Schachspieler sind, Steinbrück gewinnt meist gegen Schmidt, nannten sie es »Zug um Zug«. Das Buch wurde im Thalia-Theater in Hamburg vorgestellt, und auf Bitten des Verlags und der ZEIT , deren Herausgeber Helmut Schmidt immer noch ist, moderierte ich das Gespräch.
Auf der Bühne war natürlich auch ein Aschenbecher für Helmut Schmidt vorgesehen. Ich hatte mich allerdings beim Inspizienten des Theaters erkundigt, was denn geschehe, wenn ein Dramatiker in seinem Stück eine Person rauchen lasse. Dann dürfe der rauchen, sagte der Inspizient. Es sei sowieso immer ein Feuerwehrmann hinter der Bühne. Also darf Schmidt rauchen? Ja, er darf rauchen.
So moderierte ich das Gespräch mit der Bemerkung an, ein Schauspieler dürfe rauchen. Und wir hätten jetzt auf der Bühne ja den größten Staatsschauspieler Deutschlands. Schmidt bekam donnernden Applaus.
Während des Gesprächs hatte Schmidt wohl den Eindruck, ich ließe Peer Steinbrück ein wenig mehr als ihn zu Wort kommen. Da zupfte er mich am Ärmel, wollte noch etwas sagen, aber ich unterbrach ihn sofort. Er hatte sich die Zigarette falsch herum in den Mund gesteckt und versuchte gerade den Filter anzuzünden.
Mit Günter Grass in Peking –
Schnarchen in der Oper
Ute Grass war meine Retterin. Wir standen in Peking vor der Mauer der Demokratie. Und ich hatte ein Problem, das mich verzweifeln ließ.
Oktober 1979.
China befand sich im Umbruch. Drei Jahre nach
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