Neugier und Übermut (German Edition)
fotografieren. Er musste schließlich sein Amt aufgeben.
Und ein Jahr nach seinem Rücktritt traf ich ihn wieder bei einer Einladung von Sabine Christiansen in Berlin. Er beschwerte sich sofort bei mir: »Du bist auch schuld an meinem Rücktritt.«
Er bezog sich damit auf eine Frage, die ich ihm in den Tagesthemen gestellt hatte. Für eine Sondersitzung des Bundestages war er mit einer Bundeswehrmaschine von seinem Urlaubsort Mallorca nach Berlin geflogen. Am nächsten Tag hatte er Termine bei der Bundeswehr auf dem Balkan. Wenige Minuten, bevor ich ein Tagesthemen-Gespräch mit ihm im Bundestag aufzeichnete, rief mich eine Journalistin des ARD-Hauptstadtstudios an und sagte mir, Scharping fliege jetzt mit der Bundeswehrmaschine nach Mallorca, um dann am frühen Morgen von dort in den Balkan zu fliegen. Eine unglaubliche Geldverschwendung. Und so begann ich mein Interview damals mit der Frage, ob er jetzt tatsächlich nach Mallorca zurückfliege … Die Frage hat sicher nicht zu seinem Sturz beigetragen, denn damit habe ich nichts enthüllt, was auch alle anderen wussten.
Also antwortete ich Scharping: »Du bist selber schuld. Hättest du auf meinen Rat, den du selber erbeten hast, gehört, wärst du noch im Amt.«
Zwischen Weihnachten und Silvester 1999 nahm ich ein Zeitzeugen - Gespräch mit Bundeskanzler Gerhard Schröder in Berlin auf. Und zwar in der Dienstvilla in Dahlem, die er damals bewohnte. Ein großes dunkles Haus, das ich sehr ungemütlich und altmodisch fand. Heute wohnt darin Bundespräsident Joachim Gauck. Der Termin für die Aufnahme war für den späten Vormittag vorgesehen, anschließend würde ich nach München fliegen, weil ich in den Tagen danach beim Bayerischen Rundfunk den ARD-Jahresrückblick vorbereiten und senden würde.
Das Gespräch fand in der Wohnhalle mit brennenden Holzscheiten im Kamin statt. Die Beleuchtung war eingerichtet, die Kameras standen, als Bundeskanzler Schröder kam und fragte: »Wie lang soll das Ganze denn werden?«
»Anderthalb Stunden mindestens«, antwortete ich ihm.
»Nie im Leben!«, antwortete er. »So viel habe ich nicht zu erzählen. Nicht mehr als 45 Minuten.«
»Fangen wir doch erst einmal an«, versuchte ich ihn abzulenken. Und als das Gespräch beendet war mit der üblichen Floskel »vielen Dank Herr Bundeskanzler«, fragte er: »Und wie lang war’s jetzt?«
»Eine Stunde und vierzig Minuten.«
»Unglaublich«, sagte er. »Ich habe es nicht gemerkt. Länger als zwei Halbzeiten!«
Wir saßen dann noch einen Moment zusammen, und Schröder fragte mich: »Was machst du denn heute Abend?«
»Ich bin in München zum Essen verabredet.«
»Wenn du hiergeblieben wärst«, sagte er, »hätte ich dich zum Abendessen eingeladen. Hardy Rodenstock kommt mit einigen schönen Weinen. Petrus 1900 und so.«
Hundert Jahre alter Wein!
Hardy Rodenstock war der Name für gute, alte Weine. Nach Hongkong verkaufte er kistenweise französische Bordeauxweine aus der Zeit vor 1870. Denn ab 1870 waren die Weinstöcke auf den Weingütern von der Reblaus zerstört worden. Weil man schließlich herausfand, dass Weinstöcke aus den USA gegen die Reblaus resistent waren, wurden die französischen Stöcke ausgetauscht. Der Wein vor 1870 hatte also einen einmaligen Wert.
Ich hatte noch nie einen Petrus getrunken. Geschweige denn überhaupt einen Wein aus dem Jahr 1900. Hardy Rodenstocks Weine darfst du dir nicht entgehen lassen, sagte ich mir.
Ich habe umgebucht und ein Zimmer im Hotel genommen.
Wir waren vielleicht ein Dutzend Weinliebhaber, darunter Friede Springer und Hilmar Kopper mit Brigitte Seelbach, der Witwe von Willy Brandt. Die Weine waren hervorragend, Petrus 1900 war darunter, wie auch ein Lafite 1900, ein Haut Brion 1928 und ein Margaux 1947. Damals war Hardy Rodenstock noch nicht verleumdet worden. Das geschah erst später, als er aus dem Nachlass des amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson einige Flaschen Château Lafite 1787 für 156 000 Dollar versteigern ließ und der nie belegte Vorwurf aufkam, der Wein wäre gefälscht. Aus dem Konflikt um Jeffersons Wein entstand ein Hollywood-Film: »The Billionaire’s Vinegar«. Brad Pitt hat darin den Weinspezialisten Hardy Rodenstock gespielt.
Essen und Trinken hielten uns bis ein Uhr nachts am Tisch, dann wechselte, wer blieb, in das mit dunklem Holz ausgeschlagene Kaminzimmer, wo wir am Vormittag das Gespräch für Phoenix aufgenommen hatten. Schröder bot mir eine Cohiba an. Und ich war heiter genug,
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