Neugier und Übermut (German Edition)
Arbeit erklären. Er gab mir seine Moderationstexte von einer Tagesthemen-Sendung mit. Dann versuchte ich, diese Texte vor der Kamera in meinem Studio in Paris zu sprechen. Es war ein Fiasko. Und ich begriff: jeder hat seine eigene »Schreibe«, die seiner eigenen »Spreche« entspricht. Und als ich dann anfing, die Tagesthemen zu moderieren, habe ich in den ersten Wochen jeden Abend nach der Sendung Hajo angerufen und ihn um Kritik gebeten. Er hat mir sehr geholfen, mich einzuarbeiten. Und ich habe gelernt, dass es ein gutes halbes Jahr dauert, bis man sich »eingeschrieben« und »eingesprochen« hat.
Nach zwei Jahren bei den Tagesthemen rief mich WDRFernsehchefredakteur Nikolaus Brender an. Ernst Dieter Lueg verabschiede sich in Bonn, jetzt könnte ich Studio Bonn übernehmen. Ich sagte ab mit der Begründung, man könne die Tagesthemen nicht eben mal für zwei Jahre moderieren.
Eines Tages kurz vor Weihnachten 1994 telefonierte ich mit Hajo.
Er sagte ganz sachlich, bei der Untersuchung seiner Lunge habe der Arzt einen schwarzen Punkt festgestellt. Aber jetzt wolle er einfach nur sagen, es sei ein schwarzer Punkt. Was das bedeute, das wolle der Arzt bei einer genauen Untersuchung kurz nach Weihnachten feststellen.
Nach Weihnachten rief ich Hajo an.
Er war immer noch ganz sachlich. Der Arzt habe gesagt, es sei Lungenkrebs. Und wenn er seinen Geburtstag in drei Monaten noch erlebe, dann sei das ein Wunder.
Wie viele seiner Freunde, habe ich ihn in diesen drei Monaten häufig gesehen, abends nach der Sendung immer wieder lang telefoniert, über den Tod gesprochen. Dann hatte jemand die Idee, den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus ins Leben zu rufen. Das war schnell umgesetzt. Zu seinem Geburtstag, wenige Tage vor seinem Tod, standen die Gründer des Preises an seinem Bett und übergaben ihm die Gründungsurkunde.
Als ich ihm eines Abends vorschlug, er solle doch den ersten Preisträger festlegen, sagte er spontan: »Thomas Roth«. Thomas Roth machte als ARD-Korrespondent in Moskau eine herausragende Arbeit. Und als seine Frau Ilse fragte, wann der Preis denn an Roth verliehen werden solle, lachte Hajo auf. Da müsse man noch warten. Er nahm es da noch mit Humor.
Inzwischen ist der Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis schon mehr als ein Dutzend Mal verliehen worden. Er gilt als die höchste Auszeichnung für einen Fernsehjournalisten. Und wer sich die Liste der Preisträger anschaut, wird feststellen: Sie ist der Gotha des Fernsehens.
Und immer wieder wird bei der Preisverleihung auf einen Satz von Hanns Joachim Friedrichs hingewiesen, von dem ich glaube, dass er meist falsch interpretiert wird: »Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.«
Hanns Joachim Friedrichs hat sich selbst mit vielen guten Sachen gemein gemacht. So trat er öffentlich für Berlin als Hauptstadt ein. Auch ich habe mich immer wieder mit »Sachen« gemein gemacht. Denn ich finde, dass politische Journalisten die Aufgabe haben aufzuklären. So kann schon mit der Auswahl eines Themas für eine Sendung das »Gemein-Machen« beginnen. Ein Beispiel: Durch die tägliche Lektüre von Le Monde und International Herald Tribune war ich früh auf den drohenden Völkermord in der sudanesischen Provinz Darfur aufmerksam geworden. In der deutschen Öffentlichkeit wurde das Thema noch nicht wahrgenommen. So schickten wir für die Tagesthemen unseren Afrika-Korrespondenten nach Darfur und sendeten drei Tage hintereinander je einen Schwerpunkt. Schon nach dem zweiten Tag rief mich der Chefredakteur der Welt am Sonntag an und fragte, ob unser Korrespondent nicht auch für seine Zeitung über den Konflikt in Darfur schreiben könne. So wurde das Thema »Völkermord in Darfur« auch in der deutschen Presse ausgiebiger behandelt.
Claus Richter, Vorsitzender des Vereins zur Verleihung des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises war zur Zeit von Solidarnoœæ Korrespondent der ARD in Polen. Er sagt: »Jeder Journalist, jeder Korrespondent macht sich in jedem Unrechtsstaat mit der Sache der Unterdrückten gemein.«
Ich verstehe »nicht gemein machen« so: ein guter Journalist verfolgt eine Sache ohne Rücksicht auf eigene Interessen.
Hajo hat uns versprochen, er werde bei jeder Preisverleihung von Wolke sieben aus zuschauen. So erheben wir nach jeder Jurysitzung das Glas auf ihn und grüßen ihn auf seiner Wolke.
Mein unbändiger Wille –
Der Film über Herbert
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