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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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des Salons hingen Bilder berühmter Maler, die sich mit seinem Werk beschäftigt hatten. Saul Steinberg hat »Die Unterrichtsstunde« karikiert, Max Ernst in gelb und grünem Öl das »Rhinozeros«, von Joan Miró stammen zwei Aquarelle, und wenn er nicht selbst die Hommage darunter geschrieben hätte, wüsste man nicht, dass Miró mit seinen Strichen und Punkten Monsieur und Madame Ionesco porträtiert hatte.
    »Das Porträt meiner Frau finde ich schöner«, sagte Eugène zu mir, und wie bei Buster Keaton zuckte nach solchen Bemerkungen nicht der kleinste Gesichtsmuskel.

    Wir haben in diesem Raum viel Tee getrunken und lange Gespräche geführt. Nebenan lag sein kleines Arbeitszimmer, aber Eugène Ionesco sagte immer, er habe in seinem Leben nie gearbeitet, er sei nur seinen Träumen nachgegangen, habe Stücke erfunden, und Stücke zu erfinden, das sei eigentlich das Einfachste auf der Welt. Morgens, wenn man aufwache, brauche man nur die Augen geschlossen zu halten, und schon beginne die Handlung, fließe der Dialog, entwickele sich das Spiel. Erst das Aufschreiben sei dann die Qual. Sobald er es sich leisten konnte, hat Ionesco sich diese Qual erleichtert – und die Texte einer Sekretärin diktiert, während er im Sessel neben ihr saß. Gisèle Freund hat Eugène Ionesco in seiner Traumhaltung fotografiert – liegend auf dem Sofa.
    Von Eugène ist Rodica nicht zu trennen, ohne sie wäre er wahrscheinlich nicht der geworden, der er war. Lange Zeit arbeitete sie als Juristin und trug so zum Lebensunterhalt bei, später hat sie das gemeinsame Leben verwaltet und ihm die Freiheit gegeben, nur denken, träumen, schreiben zu können.
    »Ich bin unfähig, zu organisieren, Rechnungen auszustellen. Rodica rechnet für mich«, sagte Eugène über seine Frau.
    »Hatten Sie denn nie Sinn für Geld?«, fragte ich ihn.
    Da antwortete Rodica an seiner statt: »Nein, so recht nicht.«
    Und er fügte hinzu: »Ich habe viel Geld, sogar sehr viel – zu viel Geld. Aber es hat Augenblicke gegeben, wo ich überhaupt keines hatte. Es gab auch Zeiten, wo ich das Geld auf der Erde gefunden habe. Es stimmt, vor weit über dreißig Jahren brauchte ich dringend Geld. Ich ging auf den Markt einkaufen, aber ohne Geld. Ich schaute auf den Boden und entdecke drei Tausend- Franc-Scheine. Das war 1947/48 und damals ein enormer Betrag. Ein anderes Mal wollte ich Medikamente für meine Tochter kaufen und hatte nur hundert alte Franc. Der Apotheker gab mir aber auf tausend Franc heraus. Aber diese dreitausend Franc – die habe ich irgendwie zurückgegeben; denn einmal stand ich vor einem Kiosk, wollte mir eine Zeitung kaufen, und plötzlich bemerkte ich, dass in meinem Portemonnaie dreitausend Franc fehlten. Vermutlich waren sie herausgefallen, und ich habe sie nicht wiedergefunden. Gott hat mir also das Geld gegeben, hat es mir auf Ehrenwort geliehen, es war ein Darlehen.«

    Häufig haben wir über seine vielen Reisen gesprochen. Auch als ihm das Gehen immer schwerer fiel, wollte er am liebsten verreisen, Einladungen erhielt er aus der ganzen Welt. Überall dort, wo Regisseure eines seiner Stücke aufführten, war er gefragt.
    Als er im Herbst 1989 nach Polen sollte, stellte er fest, dass sein Pass abgelaufen war. So holte ich ihn und Rodica mit dem Auto ab, und wir fuhren zum Rathaus von Montparnasse. Dort übernahm ich es, die Formulare auszufüllen, während das alte Paar auf zwei Stühlen wartete. Ich saß also an einem Tisch und musste in eine Rubrik eintragen, welche Augenfarbe er hätte. Braun natürlich. Nur fiel mir das in diesem Moment nicht ein. Und ich wollte auch nicht zu ihm gehen und nachschauen. Also dachte ich, am unverfänglichsten ist es, wenn ich »grau« eintrage.
    Auf die Papiere musste ich eine Gebührenmarke kleben, die wiederum erhielt ich nicht im Rathaus, sondern im nächsten Bistro – denn das ist das Privileg eines »Tabac«. Also rannte ich raus, holte die Marke, klebte sie auf, und irgendwann wurden wir aufgerufen. Ich ging zum Schalter. Die farbige Büroangestellte aus Martinique bat darum, Ionesco an den Schalter zu holen, denn er müsse den Pass vor ihr unterschreiben. Auch sie wusste, wer er ist, behandelte ihn wie ein rohes Ei, und nach knapp einer halben Stunde hielt er seinen neuen Pass in der Hand. Eugène Ionesco schaute hinein, blätterte ihn durch und sagte dann: »Da steht, ich hätte graue Augen. Das habe ich doch gar nicht.« Darüber hat er ein Weilchen gegrübelt. Ich tat so, als hätte ich ihn

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