Neugier und Übermut (German Edition)
Priester. Er erzählte mir, dass er im letzten Lebensjahr von Eugène einmal in der Woche zum Gespräch gekommen sei. Ich fragte, worüber sie sich unterhalten hätten. Über Gott. Über Gott? Ja, über die Frage, ob es ihn gebe.
»Und hat er ihn gefunden?«, fragte ich den Priester.
»Nein«, antwortete er, »er hat ihn nicht gefunden.«
Rodica unterbrach unser Gespräch und nahm mich zur Seite. Sie bat mich um einen Gefallen: Die vielen Dissidenten, die gekommen waren, störte die Anwesenheit des ehemaligen rumänischen Königs mit Frau und Tochter. Ob ich mich nicht um das Königspaar kümmern könne? Der König war ein zurückhaltender, wenig intellektueller Mann. Als er König war, hatte Rumänien zunächst aufseiten Hitlers gestanden und dann hatten ihn die Kommunisten verjagt. Jetzt lebte Michael von Rumänien in der Schweiz als Testpilot und betrieb eine Geflügelzucht.
Ich erinnere mich daran, wie sich Eugène Ionesco köstlich darüber amüsiert hatte, dass, gleich nachdem der Diktator Ceauºescu gestürzt und erschossen worden war, Rumäniens König Michael ihn, den Vater des absurden Theaters, um eine »Audienz« gebeten hatte. Der Monarch wollte sich der Unterstützung Ionescos versichern, weil er doch gern wieder die Krone tragen wollte, es nach außen hin aber nicht laut zu verkünden wagte. Wenn aber das Volk, und die Rumänen im Exil, ihn als Retter der Nation riefen, dann würde er sich »opfern«. Ich fragte Eugène Ionesco, ob er König Michael unterstützen wolle? Ach, sagte Ionesco, weshalb eigentlich nicht; Könige seien inzwischen integrierte Elemente von Nationen, auch Frankreich hätte es sehr viel besser mit einem König.
»Wen sollen wir denn dann zum König von Frankreich ernennen?«, fragte ich.
»Mich!«, sagte Eugène mit seinem unbewegten Gesicht, als reize er hoch im Poker, ließ seine großen Augenlieder über die Pupillen fallen und schob die Unterlippe vor. Aber gleich wiegelte er wieder ab: »Ich fliehe vor der Politik, weil ich sie nicht mag.«
Natürlich haben wir uns auch häufig über sein Werk unterhalten, über die Logik und über das Absurde.
Ich fragte ihn: »Es gibt etwas in Ihrem Werk, das sich nicht vermengt: die Logik und das, was diese Logik durchbricht.«
»Ganz genau. Was ich tue, was ich schreibe, ist – da ich ein vernünftiger Mensch bin – selbstverständlich logisch. Dann aber bekomme ich Anfälle von Irrationalität, die in mir hochsteigen und diese Logik zerstören. Das hat bewirkt, dass mein Theater zu dem geworden ist, was man ›absurdes‹ Theater nennt. Jene, die absurdes Theater nach mir gemacht haben, machten es we- niger gut; viele Leute sind mir gefolgt, weil sie nachahmten, was ich geschrieben habe. Sie bemühten sich, Absurdes zu machen, während bei mir das Absurde der Konfrontation des Rationalen mit dem Irrationalen entspringt. Das Irrationale holt das Rationale ein.«
»Akzeptieren Sie die Bezeichnung ›absurdes Theater‹?«
»Selbstverständlich. Ich finde, dass die Welt als Ganzes absurd ist oder doch wieder nicht. Es ist sehr schwierig zu sagen, ein Ding sei absurd, da wir nicht das Vorbild dessen haben, was nicht absurd ist. Aber die Welt entspricht mir nicht, sie ist unsinnig, sinnlos. In dem Ausmaß, wie ich die Strukturen des Geistes widerspiegele, habe ich das Recht, die Welt absurd zu finden. Übrigens ist das absurde Theater schon vor langer Zeit erfunden worden. Sophokles machte absurdes Theater, und Shakespeare hat das absurde Theater definiert. Er legt Macbeth in den Mund: Die Welt ist eine Geschichte, die ein Idiot erzählt, voller Lärm und Sinnlosigkeit. Und sie bedeutet nichts. Ich habe das genaue Zitat nicht im Kopf, aber das ist der Sinn des Unsinns, wie ihn Shakespeare definiert.«
Aus dem Shakespeare’schen Macbeth wird dann Macbett, so spricht man in Frankreich den Namen dieses schottischen Mörder-Königs aus. Macbett ist Ionescos Drama über den Mechanismus der Macht, nur ist das Morden bei ihm noch konsequenter vollzogen als bei Shakespeare.
In den vierziger Jahren, als die Deutschen Paris besetzt hielten, waren die Ionescos nach Marseille geflohen, wo Eugène als Lehrer unterkam. Und als Strafe für ihre Untaten beschloss er, die Sprache der Deutschen nicht mehr zu benutzen, obwohl er sie damals so gut beherrschte, dass er sogar Übersetzungen machte. Und tatsächlich hatte er später sein Deutsch ganz vergessen.
In den vierziger Jahren sah er sich aus Ablehnung des Faschismus als Linker, aber er
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