Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
Vom Netzwerk:
verfiel nicht in den Fehler vieler französischer Intellektueller, nun im Kommunismus sein Heil zu suchen. Als das Mode wurde, lehnte er Stalin genauso ab wie Hitler, was ihn unter der französischen Elite zu einem Rechten stempelte und zur Folge hatte, dass er mit seinen Stücken aus ideologischen Gründen in Frankreich weniger erfolgreich war als etwa in England und besonders in Deutschland, wo Karl- Heinz Stroux am Düsseldorfer Theater einige Welturaufführungen von Ionescos Dramen inszenierte.
    Noch in den achtziger Jahren, als der sozialistische Kulturminister Jack Lang die Kulturmafia von Frankreich beherrschte und Günstlinge um sich sammelte, wurde Ionesco stets gemieden.
    Allerdings kam eines Tages, im Jahr 1991, der Präsident der CSFR zum Staatsbesuch nach Paris, und da Präsident Václav Havel nun erst einmal ein berühmter Schriftsteller war, lud Jack Lang alle, die Rang und Namen hatten und bei ihm geduldet waren, zu einem Empfang. Eugène Ionesco, der letzte noch Lebende unter den großen Klassikern, gehörte nicht dazu. Václav Havel aber wollte Ionesco sehen und bat, man möge auch ihn einladen. Ionesco erzählte mir davon mit großer Genugtuung: Denn dann wurde, um die Peinlichkeit zu überspielen, Madame Monique Lang ans Telefon geschickt, sie umsäuselte Ionesco, und man holte ihn mit einer Limousine zum Empfang ab. Dort bedankte sich Havel bei Eugène Ionesco: Sein Werk habe ihn nämlich überhaupt erst zum Schreiben inspiriert.

    Der Vorteil einer Metropole wie Paris ist, dass dort wohnt, durchreist, eine Zeit lang verweilt, wer auch immer in der Welt etwas zu sagen hat – auch in der Kultur. Und so gingen auch viele berühmte Künstler bei Ionescos ein und aus. Man kam, da drückte einem Andrej Wajda die Türklinge in die Hand, Buñuel war ständiger Gast. Um die Ecke wohnten Beckett, Matisse und Brâncuºi. Der Bildhauer Brâncuºi, auch er Rumäne, war offenbar ein griesgrämiger Mensch. Eines Tages besuchten ihn Eugène und Rodica mit der noch kleinen Marie-France. Da beugte sich Brâncuºi zu dem Kind, sagte: »Was bist du hübsch – im Gegensatz zu deinen Eltern!«
    Auch das Ausklingen der Salonkultur haben sie miterlebt, Eugène sicher feuchtfröhlich.
    »In die Salons gingen wir«, so erzählte er mir, »weil wir unsere Freunde und andere Schriftsteller dort trafen. In den fünfziger Jahren gab es noch viele Salons, Suzanne Tesnase, die Boulez aushielt, die Vicomtesse de Nouailles, die selber nichts darstellte, aber trotzdem unter ihren Flügeln Barrault und andere versammelte. Und plötzlich murmelte man: ›Voilà, die Kommunisten kommen‹, und Aragon im Smoking und Elsa Triolet traten ein. Dann wurden auch Leute wie Jean Genet eingeladen, der im Gefängnis gesessen hatte, wegen Diebstahls, glaube ich, und nur durch sein Genie gerettet wurde. Angeblich klaute er in den Salons silberne Löffel, und am nächsten Tag telefonierten die Damen der Salons untereinander und fragten: ›Was hat er bei dir geklaut?‹«
    »War es für die Damen wichtig, dass er klaute?«
    »Ja, je wertvoller das von ihm entwendete Stück war, desto höher stand die Gastgeberin in seiner Gunst. Die literarischen Salons gibt es in Paris nicht mehr. Und das liegt nicht am Geld. Sicher ist es teuer, jede Woche oder jeden Monat eine große Gesellschaft gefräßiger und durstiger Dichter zu empfangen; doch es gibt immer Reiche, reiche Frauen vor allem, denn es waren immer Frauen, die solche Salons unterhielten. Aber heute beherrscht nicht die Kultur Paris, sondern die Politik. Und davon halte ich mich fern.«
    »Das politische Leben hat das kulturelle und gesellschaftliche aus dem Vordergrund verdrängt, auch, weil die Politik und ihre Handlanger sich der Medien bemächtigt haben. Worin liegt denn für Sie das Wesen der heutigen Politik?«
    »Politiker sind Leute, die nach Herrschaft dürsten, Leute, die nicht sehr interessant sind. Sie scheinen alle machthungrig, das sind die gleichen Leute, die Konflikte schaffen, um die Gelegenheit zu haben, sich zu schlagen und für oder gegen etwas zu diskutieren. Sie leben vom Durst nach Macht.«
    »Ist das nicht absurd?«, fragte ich gewollt zweideutig.
    »Ich verstehe das nicht. Ich habe diesen Durst nach Macht nicht. Nun gut, ich schreibe, damit drücke auch ich eine Art Willen zur Macht aus, aber ich wirke nicht direkt auf die Menschen ein, habe auch nicht die Absicht gehabt, das zu tun, und jetzt bleibt mir keine Zeit mehr, im Alter von über achtzig Jahren noch zu

Weitere Kostenlose Bücher