Neugier und Übermut (German Edition)
konvertieren.«
Eugène Ionesco hasste Ideologien. Dafür wurde er aber auch wieder kritisiert, was ihm nichts ausmachte. Er war kein »Nashorn«, keiner, der sich der Mehrheitsmeinung anpasste. Auch geistige Moden verachtete er.
»Nun wird ja inzwischen alles zur Kunst erklärt«, sagte ich in einem unserer Gespräche, »das Kochen, die Mode, so, als habe Beuys alles, was im Leben einen Lustgewinn erzeugt, zur Kunst erklärt. In Paris ist es aber wieder ein Politiker, Jack Lang, der den Kunstbegriff ausweitet. Ist Mode überhaupt Kunst?«
»Natürlich nicht. Mode ist keine Kunst. Ich bedauere, dass es Moden gibt. Überall in der Welt setzt sich etwa die Mode des Kühlschranks durch. In Brasilien gab es eine Methode, Lebensmittel durch Winde zu kühlen, die durch Türen bliesen und so die gleiche Frische herstellten wie ein Kühlschrank. Das ist aber dahin. Jeder braucht jetzt einen Kühlschrank. Weil es Mode ist, tragen heute alle Krawatten – nur ich nicht. Alles wird einförmiger, auch im Denken, rechts wie links. Aber manche begreifen das. Eines meiner Stücke, ›Die Nashörner‹, wurde ursprünglich als ein Anti-Nazi-Drama aufgeführt, dann als ein antistalinistisches. In Argentinien nach dem Sturz Peróns sah man es als antiperonistisches Stück, und jetzt, als es vor westdeutschen Jugendlichen gespielt wurde, habe ich zu ihnen gesagt: ›Ihr habt weder die Dreyfus-Affäre erlebt noch die Diktatur der Nazis oder der Kommunisten. Was seht ihr in dem Stück?‹ Und da haben sie geantwortet: ›Die Diktatur der Mode.‹ So hat das Stück einen neuen Sinn gefunden.«
Als Schüler habe ich 1958 oder 1959, als ich in Paris zur Schule ging, die Aufführung von »Die Kahle Sängerin« und »Die Unterrichtsstunde« im Théâtre de la Huchette im Quartier Latin gesehen, nicht ahnend, dass ich als lernender Geselle mit dem großen Meister des absurden Theaters solch anregende Gespräche führen würde. Im Théâtre de la Huchette werden die beiden ersten Stücke aus Ionescos absurdem Theater selbst heute noch täglich aufgeführt. Ununterbrochen seit mehr als 55 Jahren. Das ist einmalig auf der Welt. Und so ist Ionesco heute noch ein moderner Autor. Ein moderner Klassiker.
Humor als politische Waffe:
Der Clown als Aufklärer
Fast täglich komme ich, wenn ich mich nach Südfrankreich zum Schreiben zurückgezogen habe, an einem Kreisel, dem »Carrefour du Piol«, vorbei, der den Verkehr aus zwei kleinen ländlichen Straßen zwischen Opio und Valbonne verlangsamt. Aber Mitte Juni jeden Jahres überschreibt irgendeine Hand des Nachts den Namen Piol, so heißt dieser kleine Landstrich, und dann steht dort »Carrefour du Coluche«.
Neben dem Verteilerhäuschen der Elektrizitätswerke am Straßenrand stehen jeden Tag kleinere, manchmal auch größere Menschengruppen. Manche legen an einer kleinen, vielleicht einen Meter hohen Stele aus Holzbrettern Blumen nieder, andere werfen Botschaften in einen Blechkasten. Jemand hat die Reproduktion eines kleinen Motorrads aufgestellt, ein anderer ein rotes Herz auf einen Stein gemalt. Die kleine Gedenkecke ist gut gepflegt. Seit Jahrzehnten kümmert sich Charlotte darum.
Und an dem Sonntag, der dem 19. Juni am nächsten liegt, treffen sich jedes Jahr Tausende Motorradfahrer aus ganz Frankreich an dieser Stelle zu einem Gedenkfest.
An diesem Tag im Jahre 1986 starb hier Coluche. Frankreichs begnadeter Hofnarr und Politclown. Er war ein begeisterter Motorradfahrer und fuhr so schnell wie möglich. An jenem 19. Juni sogar ohne Helm. Er übersah den Lastwagen, der aus dem Chemin du Piol kam, brach sich das Genick und war sofort tot.
Selbst mehr als zweieinhalb Jahrzehnte später haben die Franzosen ihn nicht vergessen. Manche vermissen ihn, weil er, wie kein anderer, die ungeschminkte Wahrheit sagte.
Hätte er gekonnt, hätte Coluche sicher seinen eigenen Tod als Machenschaft des französischen Geheimdienstes hingestellt.
»Seht ihr, so gefährlich bin ich für die. Aber ausgerechnet bei mir gelingt’s den ›enfoirés‹ (ein äußerst rüdes Wort, im Deutschen dem Beleidigungsgrad von ›Arschficker‹ zu vergleichen), die doch nur öffentlich Schitt machen«, hätte Coluche in seiner unnachahmlichen Quetschstimme gerufen.
Der schon lange Tote ist noch längst nicht vergessen. Coluche bleibt eine nationale Institution.
In Frankreich spielen die »Verrückten«, die Narren und berufsmäßigen Spaßmacher eine besondere soziale Rolle. Denn das Lachen, so sagte es der
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