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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Coluche – für das Amt des Staatspräsidenten kandidierte.
    Mouna war schon allein eine Demonstration.
    In vielen Ländern dieser Welt, bestimmt in Deutschland oder in den USA, aber auch anderswo, wäre jemand wie er nicht ernst genommen worden. In Paris stieß ich immer wieder auf ihn, häufig im Jardin du Luxembourg, wo er mit seinem Rad auftauchte und Reden hielt.
    André Dupont, unter diesem Allerweltsnamen ist er einst zur Welt gekommen. Ich fragte ihn, warum er sich denn nun Aguigui Mouna nenne. Mouna, wie er kurz gerufen wurde, erinnerte sich genau daran.
    Er hatte sich wieder einmal zu Tode geärgert, als er sah, wie zwei Leichenträger einen Sarg aus einem Beerdigungsinstitut trugen. Der Anblick löste in ihm eine große Wut aus.
    »Was ist das Leben schon. Arbeiten? … Man trinkt, isst, schläft, liebt, macht den Militärdienst und Krieg. Die ganze Welt ist verdreht.« Und dann war er zum Schluss gekommen: »Qu’est-ce qu’on est? Des gogos. Leichtgläubige sind wir. Zahlen und Schnauze halten. Après on est gaga. Danach ist man verrückt. De gogo à gaga à guigui. Aguigui – Mouna!«
    »Weshalb Mouna?«
    Das wusste er nicht mehr. »Aber«, sagt er, »so wie Tristan Tzara das Wort ›dada‹ (in der französischen Kindersprache: Pferd) aus dem Wörterbuch für eine Kunstrichtung erfand, so wie Claudel hinter einer Säule von Notre-Dame bekehrt wurde«, so kam die Erleuchtung in diesem Moment über André Dupont, und er nannte sich fortan Aguigui Mouna.
    Wie Coluche empfand es Mouna als unerlässliche republikanische Pflicht, Wahrheiten auszusprechen. Als er davon hörte, dass im Fort-Aiton bei Grenoble die Armee ein Strafregiment stationiert hatte, wo die Soldaten wie echte Schwerverbrecher und Zwangsarbeiter behandelt wurden, sprang er sofort auf sein Fahrrad und fuhr nach Saint-Germain-des-Prés, wo er vor der Sorbonne die Passanten aufhetzte: »Wissen Sie, dass es heute noch militärische Straflager gibt, wo die Leute in feuchte Keller mit Ratten eingesperrt sind, wo sie mit Hacken Steine zerkleinern, Löcher ausgraben und sie abends wieder zuschütten, wo sie von alten Legionären mit deutschen Schäferhunden bewacht werden, von wahren Sadisten.« Ich traf ihn dort zufällig.
    Gleich darauf nahm er den Zug nach Grenoble und überzeugte Studenten, die Öffentlichkeit mit einem Schweigemarsch auf den Skandal hinzuweisen. Doch zur verabredeten Stunde stand er allein da. Was soll’s?, sagte er sich und zog eben ohne Begleitung los zum Fort-Aiton. Dort wurde er festgenommen, worüber am nächsten Tag die Zeitung Le Dauphiné Libéré schrieb. Die Wochenzeitschrift Le Nouvel Observateur griff das Thema auf, pazifistische Organisationen wurden wach, die Liga der Menschenrechte schrieb dem Verteidigungsminister.
    In Fort-Aiton wurde die Zwangsarbeit abgeschafft, wurden menschenwürdige Zustände wiederhergestellt, und die Organisationen, die protestiert hatten, beglückwünschten sich ob ihres Erfolges. Nur Mouna wurde, wie immer, auch in dieser Geschichte vergessen.

    Das alles war lange vor der Zeit, in der sich Piraten zur Wahl stellten. Aber mit ähnlichen Motiven haben sich einst Coluche und auch Mouna mit Politik auseinandergesetzt. Bei einer Parlamentswahl kandidierte er in Paris zum Abgeordneten und erhielt 1291 (3,13 Prozent der abgegebenen) Stimmen, nur 91 weniger als die offizielle Kandidatin der Kommunistischen Partei Frankreichs. Das, so sagte mir Mouna, war sein größter politischer Erfolg.
    Aber das stimmt nicht ganz. Denn eines Tages wurde er ins Kulturministerium eingeladen und stieg voller Stolz die breite Treppe zu den Empfangsgemächern des Palais Royal hoch. Auf dem Kopf mit den langen, wirren weißen Haaren die Baskenmütze, die mit Abzeichen aller Art geschmückt war. Gegen den Krieg in Vietnam, der längst vorbei war, Anti-Atom, für den Frieden, Che.
    Auch André Dupont wurde zum »Chevalier des arts et lettres« geschlagen, wie einst Coluche.
    Als es so weit war, empfing er die Würde bescheiden, aber selbstbewusst, wie es sich für Aguigui Mouna gehörte. Minister Lang hatte in der Rede betont: »Ich bin kein Anhänger von Ordensverleihungen …« Das war im Jahr des Amtsantritts von François Mitterrand als Präsident und der ersten sozialistischen Regierung. Später würde Jack Lang jeden Hanswurst, selbst Rambo, zum Ritter der schönen Künste schlagen. »Aber da es nicht in meiner Macht steht, Orden abzuschaffen«, so sagte er zu Mouna, »weshalb ihnen dann nicht Glanz

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