Neugier und Übermut (German Edition)
Bürgermeister Bertrand Delanoe und die lokalen Behörden im Oktober 2006, als sich sein Todestag zum zwanzigsten Mal jährte, eine Place Coluche eingeweiht, gewidmet dem »Schauspieler, Humoristen und Gründer der ›Restos du Coeur‹«.
Coluche öffnete mir die Tür und bat mich in sein Haus, das – so würde es ein bürgerlicher Mensch sehen, vollgestopft war mit Krempel, den niemand brauchte. Es handelte sich eben um die Wohnung eines exzentrischen Künstlers.
Der Künstler kam gleich auf seine Ankündung, als Präsidentschaftskandidat aufzutreten, zu sprechen: »Das ist doch ein Riesenwitz, eine wahnsinnige Werbeidee! Und Leute, die mich ernst nehmen, sind Idioten!«
Er könne mir sogar sein Kabinett vorstellen, sagte er und führte mich zu seiner Toilette, die man auf Französisch auch »cabinet de toilette« nennt. Coluche setzte sich aufs Klo:
»Von diesem Thron aus werde ich regieren.«
Dann zeigte er auf das Becken und erklärte es vor laufender Kamera zum Waschbeckenminister, das Klopapier zum Arschminister.
Für den Erfolg dieses Komikers gab es ganz handfeste Gründe. Denn die Medien werden in Frankreich in erheblichem Maß vom Staatspräsidenten kontrolliert. Das hat sich bis heute nicht geändert. Als ich 2003 gemeinsam mit dem französischen Kollegen Olivier Mazrolle vom TV-Sender France 2 im Élysée-Palast anlässlich des vierzigsten Jubiläums des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages ein Gespräch mit Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Gerhard Schröder führen wollte, sagte mir der Kollege vom französischen Fernsehen: »Aber die kritischen Fragen an Chirac stellst du! Mich hat Chirac das letzte Mal schrecklich angebrüllt.« So haben wir es dann auch gehalten.
Je ausfälliger also der Politclown wurde, desto mehr wurde er zum Liebling von Frankreichs Presse. Kaum eine Zeitschrift, die ihn nicht auf dem Titelblatt abbildete. Sogar zu einer Titelseite von Time brachte er es. Coluche wurde von der französischen Presse als Alibi benutzt, weil sie so Kritik an der Gesellschaft, an der Regierung, an der Politik üben konnte, die Frankreichs gegängelte Journalisten aus eigenem Antrieb nicht zu formulieren wagten.
Deshalb gerann der größte Witz in Coluches Leben zu ernsten Analysen und Kommentaren. Und was dieser kleine, rundliche Mann als Werbung für seine inzwischen millionenfach verkauften Schallplatten und für seine Filme ansah, veranlasste die Regierung unter Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing zu Vorsorgemaßnahmen.
Wer nämlich als Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten zugelassen werden will, muss fünfhundert Unterschriften von Amtsträgern wie Bürgermeistern oder Abgeordneten vorlegen.
Beunruhigt, weil einige Bürgermeister sich schon für Coluche ausgesprochen hatten, legte die konservative Regierung eine Liste mit den Namen von sechshundert Amtsträgern an, die möglicherweise für Coluche stimmen würden, und befahl den Präfekten, sie sollten die Betroffenen davor warnen, Coluche mit ihrer Unterschrift zu unterstützen. Als Kandidat hätte Coluche jederzeit Anspruch auf Sendezeit im staatlichen Fernsehen erheben können. Und würde er da nicht alle Skandale der Republik öffentlich machen und die Politiker zu Clowns?
»Meinen Hintern werde ich im Fernsehen zeigen. Totale Demagogie ist mein Ziel«, drohte Coluche im Gespräch mit mir und brach immer wieder in schallendes Gelächter aus. »Jedem verspreche ich, was er haben will. Wie ein Politiker werde ich lügen, wie gedruckt. Das darf ich, weil mir die Wahl ja nichts bringen soll. Und wenn die Politiker davor Angst haben, lache ich mich kaputt. Ich werde sie bis zum Geht-nicht-Mehr verarschen, denn was sie aus ihrem Beruf machen, ist nichts, ist null.«
Trotz des politischen Drucks erhielt Coluche von 632 Amtsträgern die Unterstützung für seine Präsidentschaftskandidatur. Aber für ihn war die ganze Kampagne ein großer Witz, und er machte sich über die lustig, die ihn beim Wort genommen hatten.
»Humor ist die beste Waffe in der Politik«, erklärte er mir ernsthaft, als ich ihn nach der Wahl, die zum Sieg von François Mitterrand geführt hatte, wieder einmal besuchte. Er erzählte, es habe zu Zeiten der französischen Revolution einen zehn Monate dauernden »Krieg des Lachens« gegeben, den der Bruder des Aufklärers und Revolutionärs Mirabeau als »Kommandant des Lachens«, als »ordinäre Hornisse der legislativen Macht« anführte. Als etwa über die Zukunft der
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