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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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verleihen, sie statt an Karrieristen jenen Leuten verleihen, die Leuchten sind, Aufklärer, Sonnen, freie Menschen?«
    Was man auch immer französischen Regierungen, die sehr autoritär sein können, vorwerfen mag, die Worte von Kulturminister Jack Lang haben mich beschämt, der ich »freie Menschen« wie Coluche oder Mouna in ihrer Bedeutung als Aufklärer erst spät als solche erkannt habe.
    Und jedes Mal, wenn ich am Carrefour du Piol vorbeifahre und Menschen an dem Gedenkort für Coluche sehe, denke ich mit großem Respekt an den, der sich selbst Politclown nannte, aber weit mehr war.

Käse unter dem Hotelbett
    An dem kleinen Geschäft in der Rue de Grenelle im siebten Arrondissement von Paris war ich immer wieder vorbeigeschlichen. Ich wohnte um die Ecke. Der Laden war so eng, dass Kunden vor der Tür Schlange standen. Ich sah Catherine Deneuve, selbst Madame Chirac geduldig warten. Abends, wenn die eisernen Rouleaus runtergelassen worden waren, drang der Geruch der Ware in die Nase des Flaneurs auf der Straße. Es duftete angenehm, und in meiner Vorstellung sogar warm, nach Kuh, nach Schaf, nach Ziege. Mitten im alten Paris.
    Auf einem handgemalten Schild über dem Laden stand »Roland Barthélemy« und » froumager «. Nicht, wie es heute heißt, » froumager «, Käsehändler. Roland Barthélemy verwendete den altertümlichen Begriff » froumager «, weil er damit seine Verbundenheit an die alten Werte dieser Zunft ausdrücken wollte.
    Lange Zeit habe ich mich nicht getraut, seinen Laden zu betreten.
    Von wegen Übermut! Nein, ich hatte einfach nur Angst, mich zu blamieren in einem der renommiertesten Käsegeschäfte von Paris. Ich sagte mir: Wenn ich da reingehe, wird man mich fragen, was ich wolle. Und ich werde nur dumm antworten: Käse. Aber in den Regalen und Auslagen lag nur Käse, je nach Jahreszeit mehrere Hundert Sorten. Also würde man mich fragen, welchen Käse. Und da wäre ich schon bald am Ende meines Lateins. Denn banal um Camembert oder Roquefort zu bitten, hätte ja eine ähnliche Frage zur Folge. Welchen Camembert, welchen Roquefort? Und wie soll er gereift sein? … Ich konnte mir ausmalen, dass ich einen roten Kopf bekäme.
    Da erinnerte ich mich an den rumänischen Maler Corneliu Petrescu, den ich in Bukarest zu Regierungszeiten von Ceauºescu kennengelernt hatte. Für den hatte ich einige seiner Bilder mit in den Westen genommen und verkauft. Alle zwei Jahre erhielt er für zwei Monate ein Auslandsvisum. Und nach zwei Monaten wollte er immer wieder dringend zurück. In die Diktatur. Er konnte draußen nicht leben. Als er mich in Paris besuchte, gab ich ihm sein Geld, immerhin ein paar Tausend Mark. Doch eines Abends kam Petrescu völlig erledigt zum Abendessen. Es sei Zeit, nach Bukarest zurückzufahren. Völlig verblüfft fragte ich ihn: »Weshalb das denn? Zurück zu dem Verrückten?«
    Da erzählte er mir von einem schrecklichen Erlebnis, das er an diesem Tag in Paris gehabt hatte. Er wollte ein Hemd kaufen. Nur ein einziges Hemd. Er sei in einen Laden für Herrenmode gegangen und habe um ein Hemd gebeten. Da habe man ihn vor die Wahl von Hunderten Hemden gestellt. Er wollte aber doch nur eines. Die Auswahl hat ihn fertiggemacht. Er hat dann keins gekauft. Das ist eben das Absurde, wie es Ionesco darstellt.
    Und was für einen Käse wollte ich?
    Plötzlich fiel mir ein, dass ich doch über ein Sesam-öffne- Dich verfügte. Warum hatte ich Idiot daran nicht gedacht?
    Mutig steuerte ich an allen wartenden Kunden vorbei, trat an die Kasse, die am Ende des Ladens im Halbdunkel lag und hinter der Madame thronte. »Bonjour Madame«, stellte ich mich ihr vor, ich sei vom Deutschen Fernsehen und würde gern den Patron sprechen. Einen Augenblick bitte, der Patron wurde aus den hinteren Räumen herbeigerufen und kam in einem dunkelbraunen Arbeitskittel. Auf die Brusttasche war sein Name ge- stickt. Ein kleiner drahtiger Mann. Vielleicht 35 Jahre alt. Auf jeden Fall nicht älter als vierzig.
    Äußerst freundlich hörte er sich meine Bitte an und sagte: »Kommen Sie am Dienstagvormittag mit Ihrem Kamerateam. Am Montag haben wir geschlossen und dienstags ist es morgens immer sehr ruhig.«
    Als Journalist konnte ich jede noch so einfältige Frage zum Thema Käse stellen!
    Aus dem ersten Besuch in Rolands Laden entwickelte sich eine bis heute andauernde Freundschaft. Rolands Vater hatte schon einen Käsestand betrieben, den er jeden Tag der Woche auf dem Markt aufbaute. Für seinen Sprössling

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