Neugier und Übermut (German Edition)
seinem Büro an der Hauptstraße, in das zu gelangen er nur den Flur seiner Wohnung überqueren musste. Als Chef der Firma Gabriel Coulet – so hieß sein Urahn – war er stets einer der Ersten bei der Arbeit. Denn »außer arbeiten geht in Roquefort nichts«. Die Häuser stehen auf Fels- höhlen und in Felsspalten, durch die ein steter Wind fegt, der den Käse richtig reifen lässt. Mehr als vierhundert Jahre können die Laurs ihren Stammbaum in Roquefort zurückverfolgen.
»Zur Roquefort-Produktion kam die Familie eigentlich durch Zufall«, erzählte mir Pierre Laur. »Mein Vorfahr wollte sich einen Weinkeller graben und entdeckte dabei die Fleurines und Felsspalten unter dem Haus, die hervorragend geeignet sind für einen Reifekeller.«
Pierre Laur betrieb die Käseproduktion gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder André, inzwischen haben beider Söhne das Geschäft übernommen. »Handgemacht« nennen sie die nach alten Regeln gereiften Laiber, die es bis hin zum Tisch des Elysée-Palastes schaffen.
»Am Anfang muss es bei der Produktion des Käses sehr schnell laufen«, erklärte mir Pierre Laur den Herstellungsvorgang. »Innerhalb von knapp zwei Stunden wird aus der Schafsmilch Käse. Damit der blaue Schimmel im Roquefort entsteht, werden aus einer Streudose Brotkrümel – genannt Penicillium roquefortei – über den Frischkäse gestreut. Nach zwanzig Minuten haben die Laiber schon ihre endgültige Form. Fünf Tage werden sie gelagert, gedreht, gesalzen und müssen dann nur noch in den luftigen Kellern verschimmeln. Der monatelange Reifungsprozess macht den Geschmack aus.«
Und dann zeigte mir André Laur diese Kellerhöhlen. Sechs unterirdische Etagen besitzen die Laurs. Auf jedem einzelnen Laib steht das Datum seiner Herstellung, und jede Tagesproduktion wird ständig kontrolliert, damit sie gerade lang genug lagert, was reifen und schimmeln heißt. André Laur erzählte mir, schon in der Naturgeschichte des römischen Schriftstellers Plinius des Älteren komme der Käse aus Roquefort vor. Und das war 79 nach J.C. Aber es gibt auch eine andere Legende, die ich später noch von einem alten Bäuerlein erfuhr.
Im untersten der sechs Keller, wo die Laiber aufrecht in dunk- len Regalen aus Eichenholz stehen, führte mich André in eine der Felsspalten, die Fleurine.
»Die leichte Feuchtigkeit der Luft«, sagte er, »begünstigt die natürliche Entwicklung des blauen Schimmelpilzes. Die Belüftung der Grotten entsteht durch die nord-südliche Lage des Roquefort-Tals. Das Mittelmeer liegt nicht weit entfernt. Der feuchte Wind aus dem Süden dringt durch die Felsspalten in die Keller. Im Winter reinigt und erwärmt er sich dabei, im Sommer kühlt er sich ab. Dabei bleiben Temperatur und Luftfeuchtigkeit auf natürliche Weise beständig. Wenn der Wind von Norden bläst, wird die Luft angesaugt. So einfach ist das Prinzip der Reifung in der Höhle.«
Die Laurs halten auf Tradition. Wie alle auf der Hochebene des Larzac.
Einen ganzen Nachmittag setzte ich mich auf eine Bergkuppe und ließ die Natur auf mich wirken.
Den Blick grenzte selbst der Horizont nicht ein. Die nackte Hochebene scheint ihn über die Erdkrümmung hinaus ins Unendliche des Himmels zu heben. Weit in der Ferne brechen gewaltige Felsklötze – Urgestein, in Türme, Zinnen und Nadeln verwitterter Dolomit – durch die baumlose Fläche, deren weißliche Kalkfarbe sich je nach Jahreszeit mit dem verbrannten Braun oder dem saftigen Grün von Prärie und Unterholz mischt. Hier und da hat sich ein dichter Wald gegen heftig blasende Winde behauptet, der auch den harten Winter überlebt. Unbeirrt von Zeitläuften höhlen die wilden Wasserstürze des Tarn und seiner beiden kleinen Nebenflüsse Jonte und Dourbie die in Jahrtausenden schon 800 Meter tief in den Kalk geschnittenen Schluchten weiter aus.
Vor einiger Zeit wurden hier von Naturfreunden Geier wieder angesiedelt. Abgestürzte Schafe sind ihnen von Bauern auf einem Felsplateau zum Fraß vorgeworfen worden. Aber inzwischen haben die Geier sich daran gewöhnt, ihr eigenes Futter zu finden.
Von meiner Felskuppe aus beobachtete ich diese braunen Riesenvögel, die sich von Aufwinden hochschrauben und kilometerweit auf ihrer fast drei Meter breiten Flügelspanne tragen ließen. Sie stürzten spielerisch hinab, verschwanden hinter einem Felsen, um dann plötzlich aus unerwarteter Richtung über einen Hügelkamm heranzusegeln und über mich hinwegzurauschen. Geschmeidig und ohne Hast bremsten sie
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