Neugier und Übermut (German Edition)
ausgelöste Listeriose wie eine leichte Grippe, bei Schwangeren hingegen kann sie zu einer Früh- oder gar Totgeburt führen.
Also fuhr ich wieder einmal zu Roland und ließ ihn vor der Kamera die – nach deutschem Klischee – widerlichsten Käsesorten aus Rohmilch mit grässlich verschimmeltem Äußeren vorführen.
Jedes Mal fragte ich ihn: »Und wie viele Menschen sind daran erkrankt oder gar gestorben?« Seine Antwort war immer die gleiche: »Natürlich keiner!«
Roland brachte mir so viel über Rohmilchkäse bei, dass ich in meiner Pariser Wohnung ab und zu runde Tische aufstellen ließ und fünfzig Gäste zum »dîner froumager« einlud. Es gab vier Gänge Käse – mit ein wenig Salat dazwischen. Und Roland hielt zu jedem Gang eine kleine Einführung, ebenso der Soziologe Jean-Paul Aaron, den ich in Rolands Laden kennengelernt hatte. Er schwärmte besonders für Cantal-Käse, der schon einige Monate gereift war.
Eines Tages lud mich Roland in ein elegantes Lokal zum Abendessen ein und fragte vorsichtig, ob ich mir vorstellen könnte, als Compagnon in die Käsegilde aufgenommen zu werden. Mit Begeisterung bedankte ich mich für die Ehre.
Als es so weit war, trat ein gutes Dutzend Männer auf eine kleine Bühne. Sie trugen weite Umhänge und turbanartige Kopfbedeckungen, fast wie im Mittelalter, und dann wurde mein Name aufgerufen. Ich trat in feinen Zwirn gekleidet vor, mir wurde eine große Urkunde überreicht und ein breites grünweiß- orangenes Band mit einer handtellergroßen Medaille umgehängt. Auf der Medaille ist der Heilige Uguzon abgebildet, umgeben von Kuh, Schaf und Geiß. Roland Barthélemy hielt eine Laudatio, der legendäre Käsepapst Pierre Androuet umarmte mich dreimal mit einer Bise. Damit war ich als Geselle aufgenommen.
Die Gilde hatte mir den Ehrenplatz neben Pierre Androuet, damals war er Propst der Gilde, zugewiesen. Er sagte mir auf Deutsch, dass er es bedauere, meine Muttersprache nicht gut genug zu sprechen. Ich widersprach, nicht aus Höflichkeit, sondern weil er fast fließend deutsch sprach. Aber dann klagte er mir, sein Deutsch sei leider nicht gut genug, um Goethe zu lesen. Seine Bildung beeindruckte mich.
Und dann habe ich mich danebenbenommen.
Beim Käsegang angekommen schmierte ich den Camembert auf die Baguette. Androuet sah mich entsetzt an.
»Essen Sie Camembert immer so?«, fragte er mich.
»Ja, auf Baguette mag ich ihn lieber als auf Nuss- oder Früchtebrot.«
»Das meine ich nicht«, sagte Androuet streng. »Essen Sie ihn immer mit Rinde?«
»Ja, so wie er auf den Tisch kommt«, antwortete ich naiv.
Da deutete Pierre Androuet auf die Rotweinflasche, die vor uns stand, und sagte: »Die Rinde ist doch nur das Behältnis, so wie eine Flasche für den Wein. Und kämen Sie je auf die Idee, sobald Sie den Wein ausgetrunken haben, die Flasche aufzuessen?«
Seither entstehen auf meinem Käseteller immer große Abfall- berge von abgeschnittenen Rinden, und ich halte mich an die Richtlinie Androuets, obwohl der eine oder andere Franzose mir schon widerspricht und meint, die Rinde schmecke doch besonders kräftig. »Ja, aber würden Sie die geleerte Weinflasche auch aufessen?«, antworte ich dann provokativ.
Bei meiner Inthronisierung als Geselle der Gilde nahm mich Roland am Arm und sagte: »Ulrich, du musst die Gebrüder Laur kennenlernen. Sie stellen den besten Roquefort her.« Und er führte mich zu zwei fröhlichen Franzosen in bestem Mannesalter.
Die Gebrüder Laur erzählten mir wortreich von der wunderschönen, wenn auch kargen Hochebene des Larzac, wo die Schafherden weideten, aus deren Milch der Roquefort hergestellt wird. Und sie luden mich ein, sie in ihrem Käsekeller im Örtchen Roquefort zu besuchen. Meine Neugier war geweckt. So bat ich den mir zum Freund gewordenen Mitarbeiter am Studio Paris, Richard Huber (heute ein begnadeter Tatort-Regisseur), in den Larzac zu fahren, um zu erkunden, ob Roquefort genügend Stoff für einen halbstündigen Film hergebe. Richard kam von seiner Erkundungsreise begeistert zurück.
Der Ort Roquefort scheint schräg an der abgebrochenen Felswand des 800 Meter hohen Cambalou zu kleben, er hängt jedoch so ungünstig, dass ihn ein halbes Jahr lang kein Sonnenstrahl erreicht. Doch von dieser besonderen Lage profitieren die Roqueforthersteller. Die Häuser wurden deshalb auch nicht nach Gesichtspunkten der Ästhetik, sondern der Funktion gebaut, sodass der Ort wenig anziehend wirkt.
Pierre Laur empfing mich früh in
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