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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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in die Muschel, lauschte in das Rauschen und warf hin und wieder einen Blick in Richtung Norden, wo in vier Kilometer Entfernung gut sichtbar die Abschussrampe ELA 2 des Weltraumbahnhofes Kourou stand.
    Wir befanden uns nahe am Äquator in Südamerika. Aber die kluge Kolonialpolitik der Franzosen hatte es erreicht, dass die ehemalige Kolonie Guyana, die an Brasilien grenzt, nun ein französisches Département ist, allerdings das größte mit einer Fläche, die ein Viertel der Bundesrepublik ausmacht. Lagwiyan sprechen die Kreolen den Namen aus.
    Um Raketen ins Weltall zu schicken, ist es sinnvoll, die Abschussrampen nah am Äquator aufzustellen. So wurde mitten in den Dschungel eine Schneise geschlagen. Platz genug gab es ja.
    Von hier aus sollte nun die 35. Ariane gen Nordpol starten. Aus der dritten Stufe dampfte der Treibstoff, während der kleine Mann den Hörer einhängte.

    Wir hatten unsere Fernsehkamera auf dem Stativ festgeschraubt und warteten geduldig auf den Start. In dem kleinen Unterstand auf Holzbalken mit einem Dach aus Ästen standen nur wenige Menschen. Der kleine Mann war Brasilianer, nervös lief er auf und ab.
    »Da oben ist mein Satellit drin«, erklärte er mir, »und ich warte jetzt schon einen Monat auf den Start.« Er hieß Junior Torres de Castro, und seine Frau hatte ihm eben am Telefon den Kopf gewaschen. Sie hat sich beklagt, dass er nun schon vier Wochen in der Tropenschwüle von Kourou ausharre, nur um seinem Hobby nachzugehen, während sie in Brasilien das Geschäft besorgen muss, die 5000 Rinder auf der Ranch in São Paulo zu verkaufen. Diese Tiere werden auf Torres de Castros ausgedehnten Weiden ein Jahr lang gemästet und dann zur Weiterverarbeitung als Steak versteigert. Das erfordere wenig Personal und sei deshalb sehr gewinnbringend, sagte Junior Torres, der für sein Hobby viel Geld benötigt.
    Er ist der einzige Privatmann der Welt, der einen eigenen Rundfunksatelliten besitzt – als Hobby, nicht um damit Geld zu verdienen.
    Dieser allerdings nur zehn Kilogramm schwere Satellit lag nun neben dem zwei Tonnen schweren »Spot«, einem auch militärisch nutzbaren französischen Beobachtungssatelliten, in der Kapsel der Ariane und wartete auf die Zündung, die an diesem Abend wieder einmal verschoben wird, zum dritten Mal seit vier Wochen – aber diesmal nur um 24 Stunden; eine Wolkendecke hatte sich plötzlich hoch über dem Abschussplatz breitgemacht. Die Reibung, die an der Außenhaut entstehen würde, wenn der Flugkörper die Wolke durchbricht, könnte zu Störungen im elektrischen System führen. Junior Torres harrte nun schon einen Monat aus, da machte ein weiterer Tag auch nichts, das habe er eben seiner Frau auch gesagt. Und dann fragte er mich, ob ich die Teufelsinseln schon besucht hätte. Ja, antwortete ich, aber das war schon zehn Jahre her und ziemlich unerfreulich, denn wir waren für einen Tag in der unsäglichen Hitze nicht mit genügend Wasser und Proviant ausgerüstet gewesen. Dann sollten wir doch am nächsten Tag einen gemeinsamen Ausflug unternehmen, sagte Junior Torres, inzwischen gebe es dort sogar ein Hotel und ein ganz passables Restaurant. Wie sollten wir sonst die Zeit bis zum nächsten Starttermin am nächsten Abend totschlagen? In dem kleinen Ort Kourou, bei dem der Weltraumbahnhof lag, gab es nichts, wo wir bleiben wollten.
    Junior Torres trug eine weite Hose, die etwa dreiviertel seines kugelrunden Körpers bedeckte, und Hosenträger verhinderten, dass diese Beinkleider herunterrutschten. Sein immer noch dunkles Lockenhaar und das gespannte Rundgesicht mit Doppelkinn ließen den fast Sechzigjährigen jünger erscheinen, als er war. Er japste ein wenig, als wir die Barkasse verlassen hatten und den steilen Weg von der Mole hinaufstiegen. Wir machten einen Rundgang, über die Ruine der Kapelle, die ein Häftling ausgemalt hatte, vorbei am Kinderfriedhof, in die zerfallene Krankenstation und zu den Käfigzellen, die kein Dach hatten. Das ganze Jahr über war es heiß, und wenn es regnete, verdampfte das Wasser schnell. In einem riesigen Teich lag ein Krokodil.
    Wir gingen an dem Haus vorbei, über dessen Tür »Hotel« stand und in dessen Schwimmbad trübes grünes Wasser vor sich hin gammelte.
    Die ehemalige Kantine der Wärter war zu einem bescheidenen Restaurant mit groben Holzmöbeln ausgebaut worden. Auf dem Weg dorthin trafen wir auf einen zwei Meter langen Leguan, der bewegungslos wartete, bis wir an ihm vorbei gegangen waren. Ein Urtier. Ich

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