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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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dachte an Saurier.
    »Seit dreißig Jahren warte ich auf diesen Moment«, sagte Junior Torres jetzt im Sommer 1990 und zeigte auf die zwischen den Ruinen unwirklich wirkende Antennen- und Radaranlage mit der Raketenabschüsse beobachtet wurden, »dass meine Vision Wirklichkeit wird. Sie hat mein Leben verändert.« Nicht, dass ihm die heilige Maria oder ein anderer Heiliger erschienen wäre, nein, aber verrückt war die Vision schon, die er hatte, als der erste Sputnik 1957 um die Welt sauste und mit seinem Bip-bip-bip alle Welt in Erstaunen setzte. Mir fiel dabei Helmut Schmidt ein, der zehn Jahre zuvor im Wahlkampf 1980 gesagt hatte: »Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.« Nein, Junior Torres ist der lebende Beweis dafür, dass auch Visionen durchaus kein medizinisches Problem sein müssen, sondern Heil in sich tragen können. Vielleicht meinte Helmut Schmidt auch nur Menschen in der Politik, die Visionen haben. Aber Willy Brandt habe er nicht gemeint, verteidigte er sich später.
    Junior Torres, Amateurfunker seit jüngster Kindheit, ärgerte sich damals darüber, dass jenes Bip-bip-bip in Russisch funkte und zu allem Überfluss auch noch verschlüsselt war. Während die Amerikaner wegen des sowjetischen Vorsprungs im Weltraumprogramm erschrocken aufwachten und John F. Kennedy den Wettlauf zum Mond verkündete, beschloss Junior Torres, damals keine dreißig Jahre alt, einen eigenen Satelliten zu bauen, einen, den jeder in der Welt hören könnte und der dem Frieden schlechthin dienen würde.
    »Aber wie wollten Sie das denn finanzieren?«, fragte ich ihn, während ich beobachtete, wie einige Touristen den immer noch regungslos daliegenden Leguan streichelten. Ich schüttelte mich. Trotz des Windes war die Luft feucht und schwül. Der Schweiß lief mir den Körper hinab.
    »Das war nicht so schwer«, antwortete Junior Torres und schaute mich durch seine riesige Brille an. »Mein Vater besaß eine Kaffeeplantage, sodass ich nicht als Tellerwäscher anfangen musste, um meinen Traum zu verwirklichen.«
    Als der Vater starb, hinterließ er eine Witwe und drei Kinder. Der Einfachheit halber kaufte Junior die Teile von Mutter, Bruder und Schwester an der Plantage auf. »Wir hätten uns sonst immer nur in den Haaren gelegen«, sagte Junior, der zu dieser Zeit seinem Ziel schon ein wenig näher gekommen war. Er hatte studiert, war Ingenieur geworden. Sein schnell wachsendes Unternehmen hatte sich auf Wasserbrunnen spezialisiert, und damit hatte er – in Cruzeiros gemessen – genauso viel Erfolg, als wenn er nach Öl gebohrt hätte.
    Der Träumer war bald ein reicher Mann.
    Aber so ein Satellit ist auch für einen reichen Mann ein kostspieliges Ding und noch mehr kostet es, ihn in eine Umlaufbahn zu bringen. Junior aber verlor das Hobby nicht aus den Augen, während er eine Familie gründete und ein Kind nach dem anderen zeugte. Neun waren es bald. Die älteste Tochter leitete inzwischen mit 32 Jahren die Kaffeeplantage. Alle anderen Sprösslinge waren in väterlichen Betrieben untergebracht. Nur der Jüngste ging noch zur Schule. Er ist allerdings Junior Torres’ Hoffnungsträger, denn als Einziger versteht er des Vaters Leidenschaft fürs Funken.
    »Es ist eine Qual, einen Monat lang hier in Guyana auf den Abschuss einer Rakete zu warten«, sagte Junior Torres, »aber ich spüre, dass es heute Nacht klappen wird.«
    Die Rückfahrt über das Meer nach Kourou war ruhig, das gebrochene Bein der Frau mit einem Brett geschient.
    Am Abend trafen wir uns wieder bei dem Unterstand vier Kilometer von der Abschussrampe entfernt. Wieder stand Junior Torres in der Nähe des Telefonapparates im Dschungel. Doch inzwischen schien seine Frau die Rinder verkauft zu haben. Sie rief nicht mehr an.
    Von zehn abwärts wird ein Countdown spannend – drei, zwei, eins, »feu«.
    Ein Feuerschweif quillt unter der Ariane hervor, ein Fauchen folgt mit der Verzögerung, die den Unterschied zwischen Lichtund Schallgeschwindigkeit ausmacht, und wie in Zeitlupe sieht der kleine dicke Mann seinen Satelliten in der Raketenspitze gen Himmel fahren. Achtzehn Minuten nach dem Start wird der viereckige Apparat in die geplante Umlaufbahn geworfen.
    Die Himmelfahrt war noch das Billigste an dem ganzen Unternehmen, denn die europäische Weltraumbehörde ESA hatte beschlossen, Wissenschaftler und Rundfunkamateure zu unterstützen: Ganze 25 000 Dollar musste Junior Torres für die Raumfahrt berappen. 100 000 Dollar kostete immerhin das viereckige Gerät.

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