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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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informiert waren als ich, dass die wirklich gegen die Japaner kämpften. Ich wurde aber von den Guomin- dang stark bewacht. Wo immer ich auch hinging, folgte mir ein Polizist. Aber ich hatte ein Visum und sagte, das gilt für ganz China. Jedenfalls haben sie dann klein beigegeben. Sie wussten ja nicht, wer ich bin.«
    Und so gelang es Hans Müller, sich nach Yan’an, dem Hauptquartier von Maos Armee nach dem Langen Marsch, durchzuschlagen.
    »In Yan’an hat man mich sofort sehr liebenswürdig empfangen«, schildert er seine Ankunft bei Maos Truppen im Sommer 1939. »Wenn ein Ausländer dorthin ging, war es eine Sensation. Damals gab es alles in allem in ganz Nordchina vier ausländische Ärzte!«
    Der junge deutsche Arzt arbeitete zunächst in einem Krankenhaus in Yan’an, doch »da war mir die Sache ein bisschen zu friedlich«.
    Er bat, an die Front versetzt zu werden. Der Chef des Sanitätsamtes der Achten Armee zögerte, weil Ausländer nicht in die gefährlichen Gebiete der heftigen Kämpfe geschickt werden sollten. Doch – so steht es in einer 1990 von chinesischen Autoren geschriebenen Propagandaschrift über »Hansi Mile« (für eine wissenschaftliche Analyse teilweise übersetzt von Müller- Enkelin Julia Werder) – Müller habe mit Nachdruck entgegnet: »Soldaten kämpfen an der Front. Arzt zu sein bedeutet auch, dass man um diese Soldaten kämpfen muss. Will medizinisches Personal den direkten Feind angreifen, findet es den Tod. Bekämpft es jedoch Krankheit und Behinderung, beschützt es die Gesundheit der Soldaten. Ich ersuche Sie, doch bitte meinen Antrag zu bewilligen.« Damit hatte der deutsche Arzt Erfolg, wie die chinesische Schrift vermerkt: »Angesichts der Aufrichtigkeit und Festigkeit seines Auftretens stimmte Mao, nachdem er gründliche Vorbereitungen getroffen hatte, Müllers Antrag zu und beschloss seine Entsendung zur Teilnahme am Kampf an die Widerstandsfront gegen Japan.«
    So ging es per Lastwagen, auf Pferderücken oder gar zu Fuß über den Gelben Fluss, durch die japanischen Linien in die »befreiten« Gebiete, in die Berge. Müller, der in der Schweiz noch ein teures, edles deutsches Operationsbesteck gekauft und es mitgebracht hatte, wurde schnell zum Chirurgen. Operiert wurde unter den ärmlichsten Bedingungen. Wenn es ging, dienten einfache Bauernhütten als Hospital. Aber häufig wurden die Verletzten in unterirdische Berghöhlen verlegt, deren Eingang mit Unkraut und Ästen versteckt wurde, und dort operiert.
    Müllers Assistenten und Pfleger waren elf- bis vierzehnjährige Jungen, meist Waisen, deren Eltern von den brandschatzenden Japanern umgebracht worden waren. Die Entbehrungen konnte nur ertragen, wer Sinn in seinem Opfer sah. Die tägliche Verpflegung bestand meist aus Hirse, manchmal gab es Gemüse.
    Müller wollte über die schwere Zeit nur wenig preisgeben. Doch wie hart die Zeit für den Europäer gewesen sein muss, schildern seine chinesischen Biographen: »Manchmal blieb Müller nichts anderes übrig, als sich von Kaki-Mehl zu ernähren.« Die Kaki-Frucht wird getrocknet und zwischen zwei Mühlsteinen gemahlen. »Infolgedessen war nicht zu verhindern, dass er unter Verstopfung zu leiden hatte. Des weiteren aß er auch eine bitter und erdig schmeckende Rübenart, schwarze Sojabohnen in Wasser gekocht und Wildgemüsesuppe.« Aber auch der mangelnde Schlaf machte Müller zu schaffen. Und »weil es nicht möglich war zu duschen und die Kleider zu wechseln, hatte Müller, der schon immer großen Wert auf Hygiene gelegt hatte, am ganzen Körper Läuse – es war ein Juckreiz ohnegleichen.« Angeblich kribbelte es ihm bis zum Lebensende sofort am ganzen Körper, sobald von diesem Ungeziefer die Rede war.
    Ständig hieß es auf der Hut sein vor den Japanern. Und bei dem Versuch, sich durch die japanischen Reihen zu schmuggeln, ging das deutsche Operationsbesteck verloren. Müller hat sich darüber maßlos geärgert. Denn es gab noch Tausende von Verletzten zu betreuen. Hunderttausende starben. Maos Armee war so schlecht ausgerüstet, dass es zwei Menschenleben kostete, ein Gewehr zu erbeuten.
    Schließlich erkrankte der Mann aus dem Rheinland an Typhus und Ruhr, sodass er nach Yan’an zurückbeordert wurde.
    Dort hat ihn Mao zum Mittagessen eingeladen.
    »Mao sagte fast nichts«, erzählte Müller, »und ließ mich immer reden. Er wollte genau wissen, wo ich herkam, was ich über den Krieg dachte, über den europäischen Krieg. So habe immer nur ich den Mund

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